Äh, weird? (Und was war noch mal Corona?)
Wie sich der Erfolg des neuen Lieblingsworts der Demokraten erklären lässt und was wir über die Erinnerung an die Pandemie wissen.
Es gibt diesen, naja, sagen wir: Witz. Er geht so: Woran erkennt man einen Veganer? Er erzählt es dir! Meiner Erfahrung nach könnte man ihn eher so erzählen: Woran erkennt man einen Veganer? Er bekommt beim Mittagessen erklärt, dass sein Gegenüber wirklich nicht viel Fleisch isst und wenn, dann nur vom Metzger um die Ecke.
Wann immer etwas, das als ganz und gar normal empfunden wird, infrage gestellt wird, wird es heikel. Zum Beispiel eben: Fleischessen. Dazu muss derjenige, der kein Fleisch isst, das gar nicht zum Thema machen. Seine bloße Anwesenheit macht es zum Thema. Seine Existenz stellt die Normalität in Frage.
Wenn das passiert, haben Menschen leicht das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen. Oft führt das nur zu Metzgereiexkursen beim Essen und ist völlig harmlos. Politisch führt es aber auch mitunter zu Abwehrreflexen, zu Kränkung, zu aggressiver Selbstverteidigung.
Denn es geht dann in kürzester Zeit an Substanz, nämlich an die eigene Identität, das Selbstverständnis. Wer bin ich und will ich so sein?
Wenn Fleisch essen ein Problem ist – bin ich dann ein Problem? Wenn Tierhaltung zur Zerstörung des Planeten beiträgt – habe ich mein ganzes Leben zur Zerstörung beigetragen? Und wenn, bin ich dann ein schlechter Mensch? Ich bin doch nicht so!
Kürzlich habe ich mit jemandem gesprochen, der sagte, er kenne Einfamilienhausbesitzer, die seien empört, weil sie seit einer Weile diskriminiert würden. Ständig bekämen sie zu hören, dass Einfamilienhäuser schlecht seien fürs Klima. Kein Wunder sei es da, dass sie die Grünen verabscheuten.
Nun ist es natürlich so: Einfamilienhäuser verbrauchen viel Fläche, sie sind im Schnitt eher groß und haben also eher großen Heizbedarf, sie liegen notwendigerweise eher weit auseinander, was eine Erschließung durch öffentlichen Verkehr nahezu unmöglich macht. Daraus folgt politisch erst einmal noch nichts, aber es ist auch schlicht der Fall.
Es ist kein Angriff auf Menschen, die ein solches Haus besitzen, das zu beschreiben. Es wird aber so empfunden und das ist folgenreich.
Ich habe dieses Phänomen, das mein Gesprächspartner da geschildert hat, vor Jahren in einem Essay ausführlich beschrieben und hergeleitet. Wer will, kann ihn hier frei lesen.
Normalitarismus habe ich das Phänomen genannt und ich halte es nach wie vor für einen entscheidenden Grund dafür, dass die autoritäre extreme Rechte es schafft, Wählerschaften zu erschließen, die ideologisch nicht schon immer ticken wie sie.
An dem Punkt, an dem alte Normalität plötzlich unter Rechtfertigungsdruck gerät, bietet sich autoritären, extremen Kräften die Chance, sich mit Menschen zu verbrüdern, die sich angegriffen fühlen. So werden Allianzen möglich, die vorher undenkbar waren.
Das führt mich in die USA und zu dem neuen Lieblingswort der Demokraten: weird. Ich hatte ja im letzten Newsletter versprochen, ein paar Worte darüber zu verlieren, warum ich das doch interessant finde.
Vorneweg, die Begeisterung für das Wort wird abkühlen, es wird sich abnutzen, da bin ich fast sicher. So funktioniert Öffentlichkeit. Aber es gibt schon ein Argument, das den Hype und die erste Irritation der MAGA-Republikaner vielleicht erklären kann.
Bisher ist es nämlich so gewesen: Nur die extreme Rechte hat die Kraft der Normalität erkannt und zu nutzen verstanden. Die AfD warb mal mit dem Slogan »Deutschland, aber normal«.
Mit Fragen der Diskriminierung nach Geschlecht oder sexueller Orientierung oder mit Rassismus verhält es sich ähnlich. Aber bleiben wir beim Klima, da ist es so offensichtlich: Die Klimakrise ist real, sie ist die Folge von sehr vielen Alltagshandlungen, die Treibhausgase produzieren, auch von Steak und Camembert. Sie ist nicht das Ergebnis von bösen Taten, sondern von Normalität.
Man kann nicht vermeiden, dass die alte Normalität von Öl, Gas, Kohle und tierischen Fetten infrage gestellt wird, weil sie sich selbst zu zerstören droht.
Diese Konflikte werden also nicht verschwinden. Eine Gesellschaft wird sie nicht los, sie muss stattdessen einen Umgang finden, der nicht zerstörerisch wird. Und das heißt wahrscheinlich: Sie muss die Verbrüderung der Autoritären mit denen stoppen, die eigentlich nicht gegen das System sind.
Einfach nur zu warnen, das wurde viel versucht. Es hat sicher eine Wirkung, aber eine beschränkte. Vielleicht auch eine nachlassende.
Weird setzt genau da an. Weird ist der normale Gegenbegriff zu normal. Indem man J.D. Vance und Donald Trump als weird beschreibt, als seltsam, komisch, schräg, macht man sich gemein mit der Vorstellung einer unkomplizierten, in sich guten Normalität. Man zeigt auf die beiden und erklärt sie zu Außenseitern. Man legt aber, zugleich, und das ist das entscheidende, einen Arm um die Schulter der Menschen, denen man das einflüstert.
Man sagt ihnen: Die sind komisch, du bist es nicht, wir sind es nicht. Man spricht sie da an, wo Trump und Seinesgleichen sie über Jahre angesprochen haben, in ihrem Selbstbild als ganz normale Leute, das angegriffen war. Man lotst sie sanft weg von denen, denen die Demokratie so wenig wert ist wie die Freiheit der Menschen.
Hillary Clintons basket of deplorables war anders, weil erbärmlich kein klassisches Gegenkonzept von normal ist. Der erbärmliche Haufen, das ist etwas, das man von oben herab sagt. Weshalb es auch sofort anschlussfähig war an die Erzählung, Demokraten seien überhebliche Großstädter von der Küste.
Wie gesagt: Man kann auch das übernutzen. Es kann sein, dass die falschen Demokraten es auf die falsche, auftrumpfende Art nutzen, dass sich das alles noch als wirkungslos oder sogar problematisch erweist. Aber es scheint mir kein Zufall zu sein, dass es mindestens für eine Weile ganz gut funktioniert zu haben scheint.
Ich werde sehr interessiert verfolgen, wie es weitergeht. Vielleicht kann man davon lernen.
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Ich habe mich in der vergangenen Woche mit der Frage beschäftigt (+), ob es eine Aufarbeitung der Pandemie braucht, im Bundestag oder Bürgerräten. Fast alle Politikerinnen und Politiker sagen das. Ob sie es wirklich glauben oder ob sie glauben, es sagen zu müssen, da bin ich nach wie vor nicht ganz sicher.
Man stößt dabei auf manche Merkwürdigkeit. Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) fordert in Sachsen und Thüringen und für den Bund einen Untersuchungsausschuss. In Brandenburg aber eine Enquete-Kommission.
Grob kann man sagen: In einem Untersuchungsausschuss geht es darum, Fehlverhalten aufzuklären. Er hat etwas Konfrontatives. In einer Enquete-Kommission geht es eher darum, ein Thema zu durchdringen und bestenfalls eine gemeinsame Position zu erarbeiten.
Ein Untersuchungsausschuss ist also die schärfere Waffe. Warum also will das BSW keinen in Brandenburg? Ich habe eine Weile gerätselt.
Dann fiel mir auf: Es gab dort schon einen Untersuchungsausschuss. Er hat rund 2000 Seiten Abschlussbericht produziert.
Wer dann noch eine weitere Aufarbeitung fordert, die weniger scharfe Form, der will vermutlich vor allem: Aufarbeitung fordern.
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Die Entscheidungen in der Hochphase der Pandemie wurden nicht Geheimen getroffen. Es gab kaum andere Themen in den Medien, aus den Ministerpräsidentenkonferenzen wurde stellenweise fast live berichtet, so viel drang nach draußen. Man wusste, welche Politiker und welche Wissenschaftlerinnen wo stehen, man erfuhr von neuen Studien. Was, frage ich mich, soll man da Neues erfahren?
Während der Recherche bin ich auf einen wissenschaftlichen Artikel von Philipp Sprengholz, Luca Henkel, Robert Böhm und Cornelia Betsch gestoßen, er ist in Nature erschienen und hat mich am stärksten ins Grübeln gebracht.
Darin zeigen die Forschenden, wie sehr sich Menschen in ihrer Erinnerung täuschen. Sie glauben zu wissen, für wie gefährlich sie das Virus gehalten haben, wie viel Vertrauen sie in Institutionen hatten – aber sie erinnern sich sehr oft falsch.
Vereinfacht gesagt glauben die Vorsichtigen, sie seien damals vorsichtiger gewesen, als sie waren, und die Risikofreudigen glauben, sie seien damals risikofreudiger gewesen, als sie waren. Fronten verhärten sich tendenziell.
Vielleicht würde es da helfen, einmal Fakten systematisch zusammenzutragen? Um etwas zu haben, auf das sich alle beziehen können, wenn es darum geht, was damals war? Ich glaube zwar, mich sehr genau zu erinnern. Aber was, wenn ich mich irre?
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Das war jetzt der vierte Newsletter, der erste Monat ist vorbei. Bis hierhin hat es sich so ergeben, dass ich am Wochenende Lust hatte, ein paar Gedanken aufzuschreiben. Dazwischen habe ich mich gebremst, um Ihre Postfächer nicht über Gebühr zu füllen. Rhythmus, Inhalt und Ton haben sich so entwickelt.
Bevor sich etwas einschleicht, das stört, würde mich interessieren: Funktioniert das so? Funktioniert etwas nicht? Dürfen auch mal häufiger als wöchentlich Newsletter kommen – oder lieber seltener? Sollten sie länger sein oder kürzer? Flapsiger oder ernster?
Die Kommentare sind offen. Mein Postfach ist es ebenso.
Bleiben Sie es auch.
Herzlich
Jonas Schaible
Erkenntnisreich. Danke! Vor allem, wie mit mit den Überlegungen hinter der weird-Kampagne die Verbrüderung der Autoritären mit denen gestoppt werden kann, die eigentlich nicht gegen das System sind, überzeugt mich.
Grossartig, vielen Dank Herr Schaible.
Und jetzt muss ich noch überlegen wie "Arm um die Schulter der Menschen" bei uns funktionieren kann, denn "warnen" reicht nicht und "von oben herab" (deplorables) funktioniert nicht.
P.S. Ihr Format hier passt für mich und sehr gerne jedes Wochenende eine Ausgabe.