Nach der Flut kommen Argwohn und Zweifel
Was eine Naturkatastrophe in einem Dorf anrichtet. Menschen lassen sich überzeugen, auch in Migrationsfragen. Aber anders als gedacht. Und: ein Babynilpferd.
Zerstörung in einem Haus in Nazarje, Slowenien, Sommer 2023
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Im griechischen Volos haben sie ein fast biblisches Jahr der Klimaplagen hinter sich. Zuerst Waldbrände in der Region, Ende Juli 2023. Anfang September brachte Sturm Daniel gigantische Regenmengen. Ende September ließ Sturm Elias die Gegend erneut überfluten. Nun verwesen 280 Tonnen tote Fische im Hafenbecken, die in einem plötzlich übervollen Stausee herangewachsen waren und jetzt ins Meer geraten sind, als der abgelassen wurde.
Touristen werden erst einmal nicht in die Stadt an der griechischen Ostküste drängen. Mein Kollege Jan Petter war aber kürzlich im Umland unterwegs, in einem der betroffenen Dörfer.
Er beschreibt eine Gemeinschaft, die jede Gewissheit verloren hat, auch das Vertrauen (+).
“Nachbarn strömen herbei. Jemand hat den Mietwagen am Haus gesehen und fürchtete, Einbrecher seien bei Varsamidis am Werk. In den vergangenen Monaten stahlen Fremde Maschinen von den Feldern. Vor drei Tagen wurde bei einer Nachbarin eingebrochen. Angeblich wurden auch schon Fremde mit einer Pistole gesichtet. Man erzählt sich, Roma seien unterwegs.
Sotirio ist seit der Flut ein Geisterdorf, bislang sind nur 25 Familien zurückgekehrt. Abends sind die Straßen so leer, dass jeder Jugendliche auf einem Roller auffällt. »Wir sind ein totes Dorf«, sagt Varsamidis.”
Viele Menschen dort sind Bauern, deren Ernte zerstört wurde, die ihre Felder nicht bestellen können und es selbst nächstes Jahr nicht dürfen. Es regieren jetzt Misstrauen, Argwohn gegenüber Fremden, Zweifel am Staat.
Nur wenige Orte werden eine derartige Folge an Katastrophen in so kurzer Zeit erleben wie Volos. Aber alle Orte, die Katastrophen erleben, die wirklich Existenzen vernichten, können solche Folgen erleben.
Darin liegt eine zentrale Gefahr der Klimakrise für freie Gesellschaften: Sie zerstört Lebenspläne, Identitäten, Beziehungsgeflechte, Gewissheiten, Pläne. Das Wasser ist weg. Auch die Fische werden irgendwann verschwunden sein, selbst der Geruch der Verwesung wird vergehen. Aber die Erschütterungen werden bleiben.
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Ich habe kürzlich mit einer Person gesprochen, die die Situation im Ahrtal gut kennt. Was sie beschrieb, klang in manchem ganz ähnlich. Sie erzählte von Angstattacken der Menschen, von überforderten Verwaltungen, von Orten, in denen die Flut von vor drei Jahren noch die Leben bestimmt.
Aktuell lässt Dauerregen in Österreich, Tschechien, Rumänien, Polen und angrenzenden Ländern die Flüsse steigen. Dörfer und Städte stehen unter Wasser, Felder sowieso.
Aus mehreren Ländern sind schon Todesfälle gemeldet worden. Es werden gewiss noch mehr werden. Dank der genauen Vorhersagen und eindringlichen Warnungen von Meteorolog*innen werden hoffentlich viele Leben gerettet werden.
Man kann besser oder schlechter mit solchen Katastrophen umgehen. Man kann dafür sorgen, dass sie nicht noch schneller noch mehr und heftiger werden. Aber man kann nicht verhindern, dass sie nachwirken.
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Der Dauerregen hält Zugvögel gerade davon ab, weiter in den Süden zu ziehen. Sie sind gefangen in Nässe und Kälte. Vor allem Schwalben und Mauersegler kommen damit nicht zurecht.
Wenn es im nächsten Frühjahr etwas leiser sein sollte in der ein oder anderen deutschen Stadt, dann, weil Klimakrise und Artensterben eng zusammenhängen.
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Das Umweltbundesamt hat eine Umfrage in Auftrag gegeben, sie zeigt, dass der größte Teil der deutschen Gemeinden im vergangenen Jahrzehnt Extremwetterereignisse erlebt hat.
In 77 Prozent der Kommunen, die teilgenommen haben, berichtet die Verwaltung davon. Ungefähr so groß ist auch der Anteil an den Kommunen, der sagt, es fehle Geld und Personal, um die Dörfer und Städte an das neue Extremwetter anzupassen.
Eine der Kernthesen von »Demokratie im Feuer« lautet: Wenn wir der Klimakrise begegnen wollen, dann müssen wir die Institutionen verändern. Dann müssen wir, unter anderem, die Verwaltung ertüchtigen.
Wir sind weit davon entfernt.
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In den vergangenen Jahren ist eine Art Politik populär geworden, die ich vor geraumer Zeit »Zuhör-Politik« genannt habe. Sie geht davon aus, dass man den Menschen erst einmal demonstrativ zuhören muss, damit sie sich öffnen; und dass man dann möglichst unverstellt tun muss, was die Menschen wollen, weil man sie sowieso nicht überzeugen kann.
Eine neue Studie zeigt jetzt: wahrscheinlich stimmt das nicht.
In einem Experiment wurde untersucht, ob sich die Haltung gegenüber Einwanderung verändert, wenn Probanden mit einer überzeugenden Erzählung konfrontiert sind.
Das erste womöglich überraschende Ergebnis: Intensives Zuhören erhöhte die Überzeugungskraft nicht.
Das zweite womöglich überraschende Ergebnis: Menschen ließen sich durchaus überzeugen, mit oder ohne Zuhören. Vorurteile gingen zurück, die Haltung zu politischen Maßnahmen veränderte sich.
Das ist aktuell ja keine ganz irrelevante Erkenntnis.
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Falls Sie vor lauter Klimakrisenmeldungen immer noch betrübt sind, darf ich vielleicht Moo-Deng vorstellen?
Moo-Deng ist ein Zwergflusspferdbaby aus dem Khao Kheow Open Zoo in Thailand, und es sieht häufig so aus, als sei es auf quäkende und ausgesprochen drollige Art aufrichtig empört über die Zumutungen des Lebens.
Wer könnte es ihm übel nehmen?
Herzlich
Jonas Schaible