Der kleine Bildausschnitt aus dem Video, auf dem keine Männer hergezeigt werden.
Dieses Video ist in seiner Kälte wirklich besonders erschütternd. Man sieht Kristi Noem, die Ministerin für Homeland Security im Kabinett Trump, hinter ihr: Gitterstäbe. Dahinter: Männer, manche in weißen Shirts, viele mit nacktem Oberkörper, alle mit rasierten Schädeln.
Sie stehen und schauen still in Richtung Kamera, oder sitzen auf den metallenen Plattformen, die die Zelle teilen wie ein Warenhaus.
Es sind Männer, die aus den USA nach El Salvador deportiert wurden, so weit sich das sagen lässt, mindestens teilweise ohne faires Verfahren. Weil die US-Regierung es so will. Vielleicht sind unter ihnen auch Männer, deren Verschleppung in ein Gefängnis in einem anderen Land ein Gericht untersagt hatte, vergeblich. Manche sind, so legt es ein Bericht nahe, nur dort, weil sie Tattoos haben.
Im vorletzten Newsletter habe ich darüber geschrieben, dass man das Schlimmste für möglich halten muss, dass es nichts gibt, das MAGA nicht sagen würde. Was die Frage aufwirft: Gibt es Dinge, die sie nicht tun würden? Jetzt und in Zukunft?
Verrohung ist ein Prozess, er wirkt auch, wenn man ihn selbst in Gang setzt.
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Dieses Video ist aus mehreren Gründen so erschütternd: Es zeigt, dass die Grausamkeit keine unerwünschte Nebenfolge ist, sondern das Programm. Das ganze Video richtet sich an »alle Illegalen«: »Wenn ihr nicht geht, werden wir euch aufspüren, verhaften und ihr könntet in diesem Knast in El Salvador landen.«
Der Knast ist völlig lebensfeindlich, eine Massenzelle mit Menschen, die verräumt sind wie Gerümpel.
Am bedrückendsten finde ich aber, wie die Männer keine Wahl haben, als sich zu Statisten machen zu lassen, eher sogar zur Kulisse, zur gleichartigen, stillen Masse, die zur Abschreckung hergezeigt wird.
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Schon vor ein paar Jahren, als man von den gigantischen Umerziehungslagern in Xinjiang erfuhr, in die China Schätzungen zufolge womöglich eine Million Menschen kaserniert, hatte ich das Gefühl, dass das Lager als Phänomen in die Weltpolitik zurückkehrt. Dort hatte es über Jahrzehnte eine zentrale Rolle, vor dem zweiten Weltkrieg, währenddessen und danach.
In den USA hatte Trump Menschen an der Grenze zu Mexiko inhaftiert, teils Familien getrennt. In Indien wurden damals neue Haftlager in Assam angekündigt, von denen das größte nun offenbar fertig ist, wobei das nur wenige tausend Menschen fassen soll. Auch in Europa machten Flüchtlingslager Schlagzeilen, auf Lesbos etwa.
Es sind Lager verschiedener Art und Natur, auch verschiedener Grausamkeit, Moria ist etwas ganz grundlegend anderes als Auschwitz-Birkenau. Aber es gibt doch etwas, was sie gemein haben.
Ich habe mich damit nicht intensiver beschäftigt und fürchte, ich werde mich damit beschäftigen müssen, weil sie Teil der politischen Wirklichkeit werden könnten. Aber ich würde es mal so ausdrücken:
Lager sind Orte, in denen Menschen festgehalten werden, die aber auch keine Gefängnisse sind. Der Unterschied ist nicht vor allem, dass im einen Straftäter sitzen, im anderen nicht. Gefängnisse sind auch keine Orte des Rechts, sie dienen Diktatoren als Folterkammern, in denen Dissidenten zuhauf gequält werden. Aber sie beziehen sich auf Individuen. Darin scheint mir der Unterschied zu liegen.
Lager sind Orte für Massen, für Kollektive. Ein Lager drückt aus, dass es nicht darum geht, was jemand getan hat (und sei es nur: politischen Widerspruch gewagt), sondern darum wer jemand ist. Im Lager geht der einzelne Mensch verloren. Er wird ganz und gar zum Teil einer Gruppe.
Wenn ich dieses Video aus El Salvador sehe und die Männer im Hintergrund, dann denke ich an ein Lager und es schaudert mich.
Ein weiteres Video macht die Runde, aufgenommen hat es eine Überwachungskamera. Es zeigt offenbar die Festnahme von Rumeysa Ozturk, einer 30-jährigen türkischen Doktorandin in Somerville, Massachusetts, die als Stipendiatin des renommierten Fulbright-Programms in die USA kam und dort seit Jahren lebt und studiert.
Offenbar sie an Protesten gegen den Krieg in Gaza teilnahm, oder vielleicht auch nur, weil sie in einem Text den Umgang ihrer Universität mit Protesten kritisierte, wurde sie von Männern in Zivil festgenommen, die offenbar für die Einwanderungsbehörde arbeiten. Was genau ihr vorgeworfen wird, ist unklar.
Ihr Visum wurde offenbar einfach für ungültig erklärt. Die Festnahme erfolgte ohne Ankündigung. Zugang zu einem Anwalt hatte sie nach Angaben ihres Rechtsbeistands mindestens zu Beginn nicht, schreibt CNN.
Das ist jetzt der Zustand in den USA.
Dazu passt ein Post des Historikers Timothy Snyder, der auf Bluesky schrieb:
»If you accept that non-citizens have no right to due process, you are accepting that citizens have no right to due process. All the government has to do is claim that you are not a citizen; without due process you have no chance to prove the contrary.«
Übersetzt:
»Wenn du akzeptierst, dass Menschen, die keine Staatsbürger sind, kein Recht auf ein faires Verfahren haben, dann akzeptierst du, dass Staatsbürger kein Recht auf ein faires Verfahren haben. Alles, was die Regierung tun muss, ist, zu behaupten, dass du kein Staatsbürger bist. Ohne faires Verfahren hast du keine Chance, das Gegenteil zu beweisen.«
Das trifft auf den Punkt. Entweder es gibt faire Verfahren für alle, oder es herrscht Willkür.
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Interessanterweise ergab eine Auswertung, dass liberale und konservative Richter derzeit ziemlich gleichlaufend gegen Trump urteilen – das ist besonders überraschend, weil man in anderen Untersuchungen einen Zusammenhang zwischen der politischen Einstellung und Urteilen finden konnte. Da scheint in der Justiz einiges zu funktionieren.
Die Frage ist, wie lange und mit welchen Folgen.
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Snyder hat unter anderem ein sehr lesenswertes Buch über jene Region in Mittel- und Osteuropa geschrieben, in der Hitler und Stalin in besonderem Ausmaß Massenverbrechen begingen, die Bloodlands. Zuletzt hatte er riesigen Erfolg mit dem Buch »On Tyranny« (Über Tyrannei), das nach dem ersten Amtsantritt Donald Trumps 2017 erschien.
Zusammen mit seiner Frau, der Historikerin Marci Shore, die wie er in Yale lehrt, entschied er schon im November, vorerst nach Toronto zu gehen.
Nun bekommt er dort Gesellschaft vom Philosophen Jason Stanley, der ein bekanntes Buch geschrieben hat, das »How Fascism Works« heißt, auf Deutsch: Wie Faschismus funktioniert. Auch er geht nach Toronto, wegen der politischen Lage.
So viel also über Tyrannei und darüber, wie Faschismus funktioniert.
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In einer Umfrage des Magazin Nature sagen rund drei Viertel der mehr als 1600 Wissenschaftler*innen, die geantwortet haben, sie würden darüber nachdenken, die USA zu verlassen.
Snyder, Shore und Stanley sind also nur die Kanarienvögel im Hörsaal, oder die Wissenschaftler in der Kohlemine, die uns vor einem Knall warnen, den wir längst alle gehört haben.
Über eine andere Studie habe ich diese Woche berichtet (+). Forscher*innen haben modelliert, was es bedeuten würde, wenn die großen Geberländer dauerhaft ihre Hilfe für HIV-Prävention und AIDS-Behandlung kürzen. Mehrere Länder wie Frankreich und Großbritannien haben Kürzungen angekündigt. In Deutschland will die Union deutlich weniger Geld für Entwicklungshilfe. Der wichtigste Akteur, mit Abstand, sind aber die USA.
Sie haben ein Programm, das sich PEPFAR nennt, eingeführt unter George W. Bush, selbst kein Heiliger, das nach Angaben des US-Außenministeriums rund 20 Millionen Menschen betreut und rund 25 Millionen Leben gerettet hat.
Die Berechnungen zeigen, dass sich nicht sehr viel ändert, wenn es zwar ein paar Kürzungen gibt, aber PEPFAR schnell wieder anläuft und erhalten bleibt. Im schlimmsten Szenario aber könnten allein bis 2030 weltweit mehr als 10 Millionen Menschen zusätzlich erkranken und fast drei Millionen zusätzlich sterben.
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Dazu kommen Hilfsprogramme gegen Tuberkulose oder Malaria, Krankheiten, die nach wie vor jedes Jahr Millionen Leben kosten. Auch sie sind bedroht.
Die Gesundheitsökonomin Brooke Nichols von der Boston University hat für beides Modelle gebaut und Tracker erstellt. Ich kann die Güte nicht bewerten, aber die Zahlen scheinen sich in Größenordnungen anderer Schätzungen zu bewegen. Anders gesagt: Sie sind schwindelerregend.
Sie kommt, in dem Moment, in dem ich diesen Newsletter schreibe, auf mehr als 27.000 vermeidbare Todesfälle durch Aids und fast 12.000 durch Tuberkulose, die bis 2030 demnach mehr als 10 Millionen zusätzliche Fälle und mehr als 2 Millionen zusätzliche Todesfälle bedeuten könnte.
Auch das bedeutet es, wenn die von den USA geprägte Weltordnung zusammenbricht, weil die USA sich dafür entscheiden.
In Berlin laufen unterdessen Koalitionsverhandlungen. Wir haben das, was da bislang verhandelt wurde, ausführlich aufgearbeitet, so wie andere Medien auch. Vieles ist noch widersprüchlich, große Streitfragen sind nicht geklärt. Was nicht überrascht.
Auch in der Klimapolitik ist vieles, sehr vieles sehr grundsätzlich offen. Vieles hängt von der Einigung ab und dann von der Ausgestaltung, die Spannbreite ist weit.
Allerdings eher in eine Richtung. Im besten Fall, so würde ich es zusammenfassen, kommt ein Programm heraus, das die Transformation etwas günstiger macht, aber auch ein ganzes Stück verlangsamt, ohne den Rahmen anzutasten – und der ist weitgehend europäisch.
Ideen, die unter Menschen, die sich viel damit befassen, wirklich Begeisterung auslösen, finden sich eher nicht.
Im schlimmsten Fall versucht die neue Koalition, derart grundsätzlich an die Architektur des Klimaschutzes in der EU zu gehen, in einer Situation, in der dafür viele andere Länder offen sein dürften, dass sich der ganze Zielhorizont verschiebt.
Weg von Netto-Null bis 2050 in der EU. Oder vielleicht sogar weg von Netto-Null überhaupt.
Das wäre dann der Fall, wenn der Emissionshandel 1 (für Kraftwerke und Industrie) ohne Grenze mit Ausgleichszertifikaten aufgepumpt werden soll, die man auf der ganzen Welt aufkaufen kann. Und wenn der Emissionshandel 2 (für Verkehr und Heizen), der vor der Einführung steht, durch Preisobergrenzen außer Kraft gesetzt wird. Oder wenn der Umstieg weg vom Verbrenner so verschleppt wird, dass der zweite Emissionshandel dann wie ein Schock wirken wird.
Ich will das nicht beschwören. Es muss nicht so kommen und ich vermag nicht zu beurteilen, wer das wollen könnte. Ich weiß von einigen, dass sie es nicht wollen. Aber es ist angelegt im noch ungeeinten Text.
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Ana Toni, CEO der diesjährigen Klimakonferenz COP30 im brasilianischen Belém, hat uns dazu im Interview gesagt (+):
»Ich habe große Erwartungen an die neue Regierung. Deutschland hat sich immer für den Klimaschutz engagiert, unabhängig davon, welche Partei an der Macht war. In diesen schwierigen Zeiten müssen jene Länder enger zusammenrücken, die es ernst meinen.«
Vielleicht wird sie ja nicht enttäuscht.
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Neulich nannte mich jemand auf Bluesky einen Chronisten unseres Niedergangs. Das war mit einem Kompliment versehen, aber ich möchte doch entschieden Protest einlegen. Ich möchte bitte Chronist von etwas anderem sein!
Und ich verstehe mich auch nicht so. Würde aber verstehen, wenn Sie mir nach der heutigen Ausgabe nicht sofort glauben. Sie haben etwas Zeit, die Meinung zu ändern. Wir lesen uns frühestens in zwei Wochen wieder.
Herzlich
Jonas Schaible
Vielen Dank für das erhellende Essay. Es ist wichtig, die Lager zu thematisieren. Wieder ein Puzzleteil mehr, um das alles zu begreifen.
Einige Anmerkungen:
1. Auch hier geschieht wieder alles im Scheinwerferlicht. Im nationalsozialistischen Deutschland lagen die Lager eher abseits, die Vernichtungslager in Osteuropa.
2. Die Milliardäre handeln selbst. Die NSDAP wurde von einflussreichen Millionäre finanziert.
3. Die Schamlosigkeit, die Grausamkeit und die Vulgarität der Oligarchen wird offen gezeigt, es gibt keine bürgerliche Fassade mehr.
4. Die USA sind eine Weltmacht. Das faschistische Deutschland wollte es erst werden. Welche Auswirkungen wird diese Inszenierung weltweit haben?