Habemus Kanzler (und vielleicht gute Nachrichten aus China)
Die Groko sieht aus, als wäre die Zeit stehen geblieben, während Klimaschutz in den Großmächtekonflikt hineingezogen wird.
Es war mühsamer als gedacht, aber: Habemus Kanzler. Friedrich Merz ist jetzt seit anderthalb Wochen da, wo er immer hinwollte. Im Kanzleramt.
Wenn es Sie noch interessiert, wie der Dienstag ablief, an dem er erst durchfiel und dann nach hektischen Verhandlungen doch noch gewählt wurde: Wir haben das Chaos im Spiegel vergangene Woche detailliert rekonstruiert (+)1.
Zwischendurch platzte Julia Klöckner, die Bundestagspräsidentin (CDU), in die Fraktionssitzung der Grünen und suchte die Fraktionsvorsitzenden, die da aber schon mit CDU-Vertretern verhandelten. Und die ehemalige Linken-Vorsitzende Janine Wissler saß plötzlich am Verhandlungstisch, obwohl sie gar kein Amt mehr hat. Aber Alexander Dobrindt (der eigentlich auch kein relevantes Amt mehr hatte) kannte sie gut.
Man sieht: gut organisiert geht anders. Vorbereitet war niemand.
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Zur Verteidigung der neuen Regierung muss man sagen, dass niemand wirklich damit gerechnet hat. Ich war selbst ebenfalls nicht vorbereitet, wenn ich ehrlich bin.
Aber es gehört eben zum Job eines Kanzlers, sich auf Eventualitäten vorzubereiten. Und alles dafür zu tun, dass passiert, was man schon eingepreist hat. Sonst passiert es vielleicht nicht. So ist Politik, Gesellschaft, das Leben.
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Angela Merkel übrigens kam, sah Merz’ Niederlage und ging. So kann man es natürlich auch machen.
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Am Mittwoch hat Merz seine erste Regierungserklärung gegeben. Man darf von diesen Reden im Bundestag nicht zu viel erwarten. Trotzdem fiel auf, wie wenig der Vortrag zur (auch beschriebenen) Weltlage passt.
Darin fiel mir ein Satz von Merz besonders auf. Merz sagte, Mieten müsse bezahlbar bleiben oder wieder werden.
“Zu bezahlbarem Wohnraum gehört vor allem: Bauen, bauen, bauen.”
Das habe ich nun schon oft gehört, gehört, gehört. Fragen Sie mich bitte nicht, warum warum warum ausgerechnet diese Maßnahme immer im Dreiklang vorgetragen werden muss. Aber so war es schon, als Horst Seehofer Bauminister war.
Der hat sein Ziel (1,5 Millionen Wohnungen in der Amtszeit) dann ebenso verfehlt, verfehlt, verfehlt wie Klara Geywitz danach ihres (400.000 Wohnungen pro Jahr).
Die Welt ist mehr als Sprache und Politik mehr als ihre Slogans, aber so ein bisschen mulmig wurde mir da schon, weil sich ja doch die Frage stellt, warum man redet wie früher, wenn man Ideen von heute hat.
Die wird es brauchen, und so viel mehr.
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Ich habe das in einem Leitartikel diese Woche so beschrieben (+)2:
“Ein Gefühl macht sich deshalb seit einer Weile breit, man hört davon in vielen Gesprächen: dass die fetten Jahre vorbei sind. Dass es nicht mehr besser wird. (...) Die Zukunft erscheint als Bedrohung, damit können wenigstens Konservative noch umgehen. Nicht aber mit der Gewissheit, dass sich trotzdem die Gegenwart nicht bewahren lässt. Das ist neu. Es ist irritierend, desorientierend und verstörend.
Diese Stimmungen werden nicht verschwinden, nur weil Kanzler und Außenminister ein paar Wochen keinen Konflikt austragen. Man darf sie nicht leichtfertig verstärken, man kann sie aber auch nicht ignorieren und schon gar nicht wegblaffen. (...)
Er wird, erstens, einen Weg finden müssen, die Probleme in ihrer Größe anzugehen, nicht mit Maß und Mitte. Er wird sich zum Weltgeist aufs Pferd schwingen müssen, es hilft alles nichts.
Er wird, zweitens, einen Umgang finden müssen, das verbreitete Gefühl der Überwältigung anzusprechen. Umzugehen mit der Ahnung, dass da eine goldene Ära zu Ende geht. Ohne dabei zu versprechen, was er nicht halten kann, wie er es noch im Wahlkampf getan hat.
Ob er will oder nicht, Friedrich Merz muss der oberste Seelentröster der Republik werden. Wie sich das bewerkstelligen lässt, das ist allerdings ein großes Rätsel.
Er wird, drittens, einen Weg finden müssen, eigene Fehler zu erkennen, einzuräumen und auszuräumen. Er muss ein selbstkritischer Kanzler sein. Denn Fehler wird er machen. Vermutlich in Serie.
Es ist schlicht undenkbar, dass eine Regierung fehlerlos bleibt, während um sie herum Gewissheiten explodieren wie Böller in einer Berliner Silvesternacht.”
Keiner hat gesagt, dass es leicht wird. Es ist eine undankbare, vielleicht unlösbare Aufgabe. Merz wollte sie. Er hat sie jetzt.
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Dass diese Koalition Erinnerungen an das vorige Mal wachruft, liegt auch an der Aufstellung im Klimaschutz. Nach einer Regierung, in der der Vizekanzler und Wirtschafts- und auch der Klimaminister war, in der sich die Außenministerin mit Sonderbeauftragter an ihrer Seite dafür zuständig fühlte, ist jetzt alles wieder wie einst.
Für Klimaschutz ist das Umweltministerium zuständig, das sich absehbar heftige Kämpfe mit dem Landwirtschaftsministerium und dem Wirtschaftsministerium (Ministerin Reiche sagte, Klimaschutz sei vielleicht überbetont worden) wird. Der neue Minister Carsten Schneider hatte bisher nicht viel mit dem Thema am Hut.
Als Staatssekretär holt er sich Jochen Flasbarth, der schon unter den UmweltministerInnen Barbara Hendricks und Svenja Schulze diesen Posten hatte. Oder, wie der ein oder andere witzelt: die unter ihm das Ministerium führen durften.
Flasbarth kennt sich aus wie wenige andere, im Apparat und im Thema. Er steht für größtmögliche Kontinuität.
Das lief ja auch früher schon nicht schlecht. Aber es ist eben auch so, dass die Gesamtaufstellung nun wieder genauso ist wie vor fünf oder zehn Jahren. Nur dass der Kanzler weniger aufs Thema gibt als die Kanzlerin damals.
Es ist aber nicht mehr 2020 oder 2015. Zeit ist vergangen und nichts ist in der Klimakrise so kostbar wie Zeit. Insofern gilt für die Ordnung des Kabinetts, was auch sonst im Klimaschutz gilt: Stillstand ist Rückschritt, weil die Wirklichkeit enteilt.
Der Expertenrat für Klimafragen hat diese Woche seinen Prüfbericht vorgestellt. Er kommt zu dem Schluss, dass Deutschland in Summe seine Klimaziele bis 2030 wohl einhalten wird. Grund sind eine Kombination aus Ausbau der Erneuerbaren (gut) und Wirtschaftskrise (schlecht).
Danach, Richtung 2040, 2045 oder sogar 2050 aber ist Deutschland unverändert nicht auf Kurs. Grund dafür ist, dass die Emissionen zu langsam sinken (schlecht) und dass die Wälder, Moore und Böden mehr CO₂ binden sollen, als sie ausstoßen. Davon sind sie aber weit weg (sehr, sehr schlecht).
Was an der Zeit bis 2030 interessant ist: Das könnte gelingen, obwohl sowohl die Gebäude (vor allem: Heizen) und der Verkehr ihre Ziele krachend verfehlen – weil das mit Windkraft und Solarenergie besser läuft als gedacht. Anders gesagt, ganz vereinfacht: Es fahren zu weniger E-Autos und laufen zu wenige Wärmepumpen, obwohl wir mit dem grünen Strom besser dastehen als geplant.
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Ich bin auf interessante Grafiken gestoßen, die der Ökonom Sander Tordoir in einem Thread geteilt hat, in dem er Deutschland als “Europe’s clean tech powerhouse” beschreibt. Er zeigt, dass Exporte von sauberer Technologie in keinem anderen G7-Land und auch nicht in China so einen großen Anteil an der Wertschöpfung hat wie in Deutschland.
Nur China verkauft mehr E-Autos in die Welt als Deutschland. Sehr viel mehr, ja, aber ein Viertel der Auto-Exporte sind demnach E-Autos.
Die Ausfuhren von Transformationstechnologie in die USA, auch das zeigt er, stiegen seit 2020 stark an. Was da passiert zu sein scheint: Der Inflation Reduction Act von Joe Biden schuf in den USA eine gigantische Nachfrage nach grüner Technik und die konnte nicht allein aus dem Inland gedeckt werden. Deutschland profitierte.
Ich finde das sehr spannend, weil sich doch die Erzählung ausbreitet, die Transformation schade der deutschen Industrie. Man schaut auf die Chemiebranche und Autohersteller, denen es schon mal besser ging, vielleicht auf die Solarbranche, die verloren gegangen ist, aber nicht auf das, was funktioniert.
Es stimmt natürlich, die Erzählung von einem grünen Wirtschaftswunder ohne Einbußen, wie sie Olaf Scholz vor allem verbreitete, war falsch. Natürlich knirscht es, wenn eine Volkswirtschaft (und Gesellschaft) sich neu aufstellt.
Aber die Gegenerzählung von grüner Deindustrialisierung eines von der fossilen Vergangenheit abhängigen Landes, die ist eben auch falsch.
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Leider macht Donald Trump mit seinen Republikanern ernst und sich daran, den Inflation Reduction Act zu schrotten. Der funktionierte vor allem über Steuergutschriften für saubere Technik, von E-Autos bis zur Dämmung von Häusern. Das meiste davon soll gestrichen werden.
Das wird nicht nur Deutschlands Exporten schaden, sondern vor allem der Transformation in den USA, damit dem Klima und uns allen, aber auch der Wirtschaft, auch in republikanisch dominierten Gegenden.
Jesse Jenkins, Professor für Energiesysteme und Co-Host des Podcasts Shift Key vermutete in der letzten Folge, dass damit große Teile der Batterieproduktion in den USA auf der Kippe stehen.
Auf Bluesky legte er nach. Das Gesetz, wenn es kommt wie entworfen, werde “die US-Atomindustrie killen, unsere Chancen vernichten, das Wettrennen um AI zu gewinnen (weil es das Energieangebot beschränkt), die globale Autoindustrie China überlassen und etwa Investitionen in Höhe einer halben Billion Dollar in die US-Industrie vernichten.”
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Ganz anders die Nachrichten aus China. Weltweit steigen und steigen und steigen die Treibhausgas-Emissionen weiter. In China sind sie im vergangenen Jahr leicht gesunken. Das gab es schon ein paar Mal, aber diesmal ist etwas anders.
Diesmal liegt es nicht wie in Deutschland an einer Wirtschaftskrise, auch nicht wie früher am Zusammenbruch der Immobilienindustrie oder dem Covid-Stillstand. Diesmal liegt es daran, dass die Erneuerbaren schneller wachsen als der Bedarf.
Anders gesagt: Der Rückgang ist real und es besteht eine Chance, dass er strukturell ist und von Dauer. Es könnte sein, dass die Emissionen im mit Abstand größten Emittenten der Welt ihren Höhepunkt überschritten haben. Vor 2030 soll es so weit sein, hat Chinas Führung versprochen. Vielleicht schon jetzt.
Wenn sich das bewahrheiten sollte, wäre die angemessene Reaktion: Yes, yes, yes, hell yes!
Der Tag, an dem Chinas Emissionen ihren Höhepunkt überschreiten, ist der Tag, an dem die Welt endlich eine Chance hat, überhaupt einzubiegen auf Kurs Richtung Netto-Null.
All das lässt eine neue Anordnung erkennen: China macht ernst mit der Transformation, setzt sich fest als Technologieführer, als Elektro-Supermacht des 21. Jahrhunderts, während die USA die eigene Aufholjagd absichtlich beenden.
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In meinem Buch “Demokratie im Feuer” habe ich die These hergeleitet, dass sich die Demokratie nur bewahren lässt, wenn wir das Klima schützen. Und auch, dass aller Wahrscheinlichkeit nach nur Demokratien die Klimakrise ernsthaft eindämmen werden.
Von der Analyse bin ich nach wie vor überzeugt. Und zugleich hoffe ich, dass zumindest der zweite Teil sich als falsch erweist.
Das Buch ist im Frühjahr 2023 erschienen, vor dem Präsidentschaftswahlkampf. Die Gefahr einer erneuten Wahl Trumps war damals schon absehbar.
“Es besteht die reale Gefahr, dass die USA dauerhaft in Richtung Autokratie abrutschen. Die Republikaner arbeiten systematisch daran, ihre Macht auch unabhängig von Mehrheiten zu festigen. (...)
Das 1,5-Grad-Ziel, selbst das 2-Grad-Ziel wird ohne Führung der USA kaum zu erreichen sein. Gegen sabotierende USA ist es ganz sicher nicht zu erreichen. Gegen autokratische USA ohnehin nicht. Es wird auch mit einer klimapolitisch ambitionierten demokratischen Welt schwer genug.”
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Das Kapitel endet (natürlich) so: “Trotzdem muss man noch nicht alle Hoffnung fahren lassen.”
Es geht danach um verschiedene Dynamiken, die dafür führen können, dass in einer Welt voller Diktaturen der Klimaschutz vorankommt. Manche der Dynamiken sind die gleichen. Nach wie vor können Staaten andere Staaten unter Druck setzen, kann man Vorbild sein, nach wie vor bringt die Transformation wirtschaftliche Chancen (siehe Green-Tech-Exporte).
Die Frage ist: Wie ist das eigentlich in einer Welt, in der erstmals seit Jahrhunderten keine Weltmacht mehr eine überzeugte Demokratie ist, keine mehr dem demokratischen Projekt verpflichtet?
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In dieser Welt setzt eine der mächtigsten Autokratien strategisch auf die Transformation und eine wendet sich (strategisch, sagen wir: kühn) davon ab.
Mit einiger Wahrscheinlichkeit wird die Transformation nun hineingezogen in den Großmächtekonflikt. Das ist sehr, sehr schlecht. Idealerweise wäre die Dekarbonisierung so wie fließend Wasser: allgemein als notwendig und hilfreich akzeptiert.
Die neue Konfliktlage ist selbst eine direkte Folge der Autokratisierung der Vereinigten Staaten. Auch unter Biden gab es strategische Konkurrenz um saubere Technologie. Aber die USA wollten China schlagen, nicht ein schmutziges Gegenmodell etablieren.
Eine gewisse Chance darauf, dass trotzdem nicht alles zum Stillstand kommt, liegt in der wirtschaftlichen Dynamik der Transformation. China kann darauf hoffen, sich damit wirtschaftlich und machtpolitisch dauerhaft Vorteile zu erarbeiten. Aber das wird jetzt eben konfliktreicher ablaufen als unter anderen Umständen.
Andere Staaten werden sich immer häufiger entscheiden müssen, auf welcher Seite sie stehen.
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Einerseits macht die Autokratisierung der USA den Wechsel der Loyalität möglich, (den es ohne sie gar nicht bräuchte). Wenn die USA selbst Europa als systemischen Rivalen behandeln, warum sollte man ihnen auf dem Weg in den Klimakrisenabgrund folgen?
Es verändert sich ohnehin schon, wie man hierzulande auf China schaut. China ist, das beschreibe ich in “Demokratie im Feuer” schon lange insofern eine autokratische Ausnahme, als die Führung sehr rational handelt.
Solange da eine unzweifelhaft demokratische Weltmacht war, sah man in China vor allem die Diktatur. Langsam beginnt man, das Rationale zu sehen. China erscheint mehr und mehr als die rationale Autokratie unter irrationalen Autokratien (Russland) oder Autokratien-im-Werden (USA).
Andererseits ist Europa zu eng verwoben mit den USA, um sich dauerhaft auf die Seite Chinas zu schlagen.
Die große Aufgabe lautet deshalb: Die demokratischen Staaten der Welt müssen einen Weg finden, den Klimaschutz der Großmächtelogik zu entreißen. Wahrscheinlich geht das nur, wenn man China seinen Status als Profiteur der neuen sauberen Weltordnung abnimmt – indem man sich selbst an die Spitze der Bewegung setzt.
Die Natur erinnert einen derzeit wieder intensiv daran, dass die Klimakrise drängend ist. 21 der vergangenen 22 Monate lagen mindestens 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau. In weiten Teilen Deutschlands (und Europas) war der Frühling ungemein trocken.
Ich war gestern kurz davor, dem ersten Berliner Nieselregen einen Schrein zu errichten. Aber dafür haben wir noch zu viele Rechnungen aus zu vielen Wintern offen, der Regen und ich.
Herzlich und erfrischt
Jonas Schaible
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