Vor den Augenringen sind alle gleich
Gäbe es die Weltklimakonferenz nicht, müsste man sie erfinden. Die Korruption hält Einzug in die Regierung der Vereinigten Staaten. Unter Orcas ist die Mode der Alt-Lachsundsechziger zurück.
Es hat etwas besonders Bizarres, so ein Morgen auf einer Weltklimakonferenz, COP. Da versammeln sich Vertreter fast aller Staaten der Welt, hohe Beamte, Staatssekretäre, Ministerinnen, UN-Vertreter. Bis zur letzten Sekunde stehen Grüppchen zusammen, laufen Gesandte hin und her, wird um einzelne Paragrafen, manchmal Sätze, sogar Wörter gerungen.
Aber wenn die Konferenz nicht nur lang und zäh war wie immer, sondern so lang und zäh wie diese in Baku, wenn die Nächte nicht nur kurz waren, sondern sehr kurz, dann raubt die Erschöpfung dem Ganzen das Förmliche.
Mächtige Menschen mit hohen Gehältern ringen mit dem Schlaf, schwanken im Stehen. Hinten sitzen Menschen am Boden, an die Wand gelehnt, als wäre das kein Plenarsaal der Staaten der Welt, sondern eine Schulturnhalle.
Vor den Augenringen sind alle gleich.
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Es ist natürlich verrückt, dass über diese Menschheitsfrage am Ende Gestalten beraten, die sich kaum auf den Beinen halten können und die nach der Rückkehr erstmal einen Tag durchschlafen.
Aber es hat auch eine ganz eigene Anziehungskraft. Alles andere ist plötzlich sehr weit weg. Es geht um diesen Text und dieses Thema. Die Stimmung ist geschäftig, müde, ernst, aber nicht steif. Eher Bienenstock als Business-Konferenz.
Die COP29 war die dritte, die ich als Berichterstatter besucht habe, und die Erfahrung der letzten Minuten war jedes Mal gleich: Ich schrieb auf Twitter oder Bluesky von der Einigung, vom Ergebnis, und Menschen in den Kommentaren fingen an zu zetern. Das bringe doch nichts, was für ein albernes Spektakel, alles leeres Gerede, eine Farce, so in etwa.
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Diesmal ging es hauptsächlich ums Geld. In aller Kürze: Vor mehr als einem Jahrzehnt einigte man sich darauf, dass die Industriestaaten den ärmeren Ländern Geld zahlen, für Klimaschutz und Anpassungen an die Folgen der Klimakrise, Ziel: 100 Milliarden Dollar im Jahr 2025. Nun brauchte es ein neues Ziel.
Die ärmeren Staaten wollen 1,3 Billionen, was im Rahmen der Schätzungen des realen Bedarfs liegt, aber natürlich nie eine Chance hatte. Am Ende wurden es 300 Milliarden im Jahr 2035, von denen aber nur ein kleinerer Teil direkte Geldgeschenke aus den Haushalten sind. Vieles sind Kredite, auf die ein oder andere Art, mal niedrig verzinst, mal marktüblich.
Entsprechend bitter fielen die Reaktionen etwa der pazifischen Inselstaaten aus. Es ist wie immer, gegeben die politischen Realitäten: gar nicht so wenig. Aber weit vorbei am Notwendigen.
Dazu kommt: Den Ausstieg aus den fossilen Energien noch einmal explizit zu bejahen, etwas weiterzugehen, das ist nicht gelungen. Vor allem Saudi-Arabien machte diesmal keinen Hehl aus seiner Entschiedenheit, das zu verhindern. Auch Russland mischte mit.
Genau genommen gibt es zwar in dem Finanzbeschluss eine Passage, die jenen Beschluss bestätigt, der vor einem Jahr getroffen wurde, also im Grunde auch den Ausstieg aus den Fossilen. Aber andere Beschlüsse, die sich expliziter mit solchen Fragen befassen, wurden vertagt.
Alles sehr diffizil.
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So sind die etwas gewöhnungsbedürftigen informellen Regeln der Klimakonferenzen. Es reicht nicht, dass die Runde etwas einmal beschließt. Wenn sie es im nächsten Jahr nicht bekräftigt, dann bedeutet es womöglich, dass sie es infrage stellt – weil die Grunderwartung ist, dass alles schnell infrage stehen kann.
Formal ist das nicht so, beschlossen ist beschlossen. Aber erstens ist da niemand, der die Beschlüsse durchsetzen kann. Zweitens ist die Welt so weit weg vom notwendigen Klimaschutz, auch nötigen Anpassungsmaßnahmen, dass jedes Jahr Fortschritte bringen muss, und zwar auf möglichst vielen Feldern.
Wäre das Klimavertragswerk ein Apparat, dann gäbe es jedes Jahr besondere Teile, die angebaut oder zusammengesetzt werden sollen. Diesmal eben: Klimafinanzierung. Ziel ist es aber, jede Schraube des Apparats jedes Mal möglichst etwas weiterzudrehen.
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Damit das gelingen kann, gibt es zahllose Wege. Einer der erstaunlicheren ist der Theaterdonner am Schluss.
Wenn alles endet, ruft der COP-Präsident die einzelnen Beschlüsse auf. Er weiß da üblicherweise schon, wie alle dazu stehen, dass es Einverständnis gibt. Er fragt dann noch, ob es Anmerkungen gibt. Dann lässt er den Hammer fallen. Der Hammerschlag bedeutet: angenommen.
Vor einem Jahr meldeten sich danach Inselstaaten zu Wort, sie klagten, sie seien noch bei einer Besprechung gewesen und hätten so keine Gelegenheit gehabt, Einwände zu erheben. Es klang wie ein krasser Vorwurf von Falschspiel – aber es war Show. Sie waren, nach allem, was man weiß, bewusst draußen geblieben, um den Beschluss nicht zu gefährden, aber auch nicht formal zugestimmt zu haben.
Dieses Mal gebührte die Rolle Indien. Indien ist der drittgrößte Emittent von Treibhausgasen, zugleich massiv von der Klimakrise bedroht und ehemals ein armes Land, heute aber eine aufstrebende Wirtschaft. Es ist angewiesen auf viel mehr Ambition und fürchtet zugleich, nach und nach in die Rolle eines Gebers gedrängt zu werden.
Als alle darauf warteten, dass es nun endlich endet, dauerte die Sitzungspause an, immer weiter. Indien habe Einwände, machte die Runde. Dann ging es weiter, die Beschlüsse gingen durch.
Da meldete sich die indische Vertreterin und trug einen langen Monolog vor. Sie klagte an, lehnte die Beschlüsse ab, sie überzog acht Minuten und niemand griff ein. Sie klang, als wolle sie alles in Frage stellen und bat dann doch nur, diese scharfen Worte zur Kenntnis zu nehmen.
Auch das war wohl: politisches Theater. Alle im Raum gingen davon, dass es so ist. Aber es war trotzdem wichtig, dass es gespielt wurde.
Agreement to performance of disagreement, sozusagen. Eine sehr seltsame, aber zugleich sehr zivilisierte und konstruktive Art, mit Differenzen umzugehen.
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Es gibt trotzdem, und damit noch mal zu den Kommentaren auf meine Social-Media-Posts, eine breite Diskussion darüber, ob es die COPs braucht. Ob sie etwas bringen. Ob sie gescheitert sind. Ob man sie verändern sollte oder gleich abschaffen.
Ich räume ein, dass sie einen eigenen Sog entfalten, wenn man dort ist. Und dass man hineingezogen werden kann in die innere Logik der Verhandlungen, mit dem Risiko, darüber das große Bild zu vergessen.
Die Menschen dort kennen sich teilweise seit Jahrzehnten. Man beschäftigt sich Tage oder Wochen bis zur körperlichen Erschöpfung mit nichts als diesen Texten und den Interessengegensätzen und Allianzen, die sie möglich machen oder unmöglich. Ich habe noch mehrere Tage von der COP geträumt.
Aber ich bin trotzdem sehr entschieden überzeugt, dass die Kritik überzogen ist. Ich verstehe nicht, was sich jemand von einer Abschaffung erhofft.
Wenn es die Klimakonferenzen nicht gäbe, müsste man sie erfinden.
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Vor einem Jahr während der COP veröffentlichten der FDP-Fraktionsvize und Klimaexperte Lukas Köhler und der Fraktionschef Christian Dürr ein Papier, in denen sie sich dafür aussprachen, weltweit weiter auf Kohlekraftwerke zu setzen, wenn die nur ihre Emissionen abscheiden.
Ich will hier nicht tief in die Diskussion um diese Emissionsabscheidung und -speicherung (Carbon Capture and Storage, kurz: CCS) einsteigen. Das Hauptproblem, das ich für Kraftwerke damit habe: Man fängt damit nie alle Emissionen ein. Kohlekraft plus CCS ist also sogar ganz am Ende nicht treibhausgasneutral.
Das Interessante hier: Ähnliche Positionen wie die beiden Liberalen hatten auf der COP nur Saudi-Arabien und einige alliierte Öl- und Gas-Staaten vertreten.
Dieses Mal wurde während der COP ein Entwurf für den Koalitionsvertrag aus Brandenburg zwischen SPD und BSW öffentlich. Darin steht, dass sich beide auf Bundesebene für ein Ende des Emissionshandels einsetzen wollen (im finalen Koalitionsvertrag wurde die Passage übrigens entschärft).
Es geht dabei um EU-Recht, Brandenburg hat also wenig zu sagen. Das Kalkül ist simpel: Mit den zu erwartenden CO₂-Preisen werden Kohlekraftwerke in Brandenburg sehr wahrscheinlich deutlich vor dem geplanten Enddatum 2038 unwirtschaftlich. Wer Kohlekraft in Brandenburg schützen will, muss an den Emissionshandel.
Nun ist der Emissionshandel ein nach allen Studien wirksames Instrument, das über alle politischen Lager des demokratischen Spektrums überwiegend akzeptiert wird. Auch diese Position wäre auf einer COP eine Extremposition, auch damit stünden SPD und BSW aus Brandenburg ziemlich sicher an der Seite Saudi-Arabiens.
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Auch wenn es so aussieht, als würden sich Länder auf der COP nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen, einigen sie sich in Wahrheit also auf etwas, das größer ist als die meisten größten einzelnen Nenner.
Länder wirken dort progressiver, als sie sind - auch Deutschland. Aus fossilen Interessen und gegenseitigen Blockaden muss Fortschritt werden. Immer wieder gelingt das. Das ist die unmögliche COP-Alchemie.
Offenbar ist der Drang, nicht als Blockierer dazustehen, doch groß. Womöglich ist auch schlicht unter allen geopolitischen und monetären Interessen überall die Einsicht vorhanden, wie groß und weltumspannend und bedrohlich für alle die Klimakrise ist.
Alle versuchen, für sich etwas herauszuholen, aber noch machen alle mit, weil sie wissen, dass sie auch mit drinhängen.
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Es geht mir nicht darum, zu behaupten, die COPs seien überaus wirksam oder erfolgreich, schon gar nicht, dass sie (allein) und auf Kurs unter 2 Grad bringen. Danach sieht es derzeit nicht aus. Ich vermute nur stark, dass es ohne sie nicht besser wäre. Im Gegenteil.
Die Klimakrise ist ein Alle-Ebenen-Problem. Sie wird angetrieben durch Handlungen in fast jedem einzelnen Leben, jeden einzelnen Tag. Sie beginnt im Kleinsten, beim Morgenkaffee oder der Schale Reis über dem Holzherd, und sie reicht bis ins Größte, in internationale Abkommen. Sie berührt jeden Ort und jedes Leben und zugleich das Machtgefüge weltweit.
Man wird ihr nicht auf einer Ebene beikommen, sondern nur auf allen zugleich, in unterschiedlichen Formaten.
Ein so etabliertes Forum auf der internationalen Ebene aufzugeben, weil alles zu langsam geht, mit dem Risiko, dass es dann kein Forum mehr gibt, um zu verhandeln – das scheint mir Kapitulation aus Angst vor der Niederlage zu sein.
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Die interessantere Frage lautet: Gäbe es Möglichkeiten, das Format weiterzuentwickeln, sodass es mehr bringt?
Dazu gibt es Vorschläge, der Club of Rome hat zum Beispiel welche vorgelegt. Eine Idee: Ausrichter dürften nur noch Staaten sein, die das Pariser Abkommen einhalten. Sie klingen vernünftig, scheinen mir aber auch noch sehr vage zu sein und am Ende nicht entscheiden. Viele renommierte Menschen haben unterzeichnet, es lohnt sich gewiss, darüber nachzudenken.
Institutionen sind selten perfekt. Man kann sie verändern und man sollte es tun, wenn man damit etwas bewirken kann. Aber man sollte auch wissen: ohne feste Strukturen wird alles schwieriger.
Das schließt einigermaßen nahtlos an eine Debatte an, die in den USA gerade unter Liberalen beginnt. Deren Gretchenfrage lautet: Wie hältst Du es mit den Institutionen?
Sie beginnt bei der Diagnose, dass die US-Demokraten ihre Identität sehr stark darauf gründen, diejenigen zu sein, die Institutionen anerkennen, trauen und hegen. Sie reagieren auf die offenen Attacken der extremen Rechten mit einem Schutzreflex.
Daran ist viel nachvollziehbar und richtig, aber es birgt natürlich eine Reihe von Problemen.
Wer sich dem Schutz der Institutionen und geordneten Prozesse verschreibt, riskiert, Inhalte aus dem Blick zu verlieren. Ergebnisse. Das, was rauskommt. Er läuft Gefahr, zu vergessen, dass geordnete Prozesse in Demokratien da sind, um politische Differenzen auszutragen – und dass er schon eigene politische Ideen haben sollte, um in den Meinungskampf zu gehen.
Wir sehen zudem, dass die Verteidigung von Demokratie, Institutionen und Prozessen nicht sonderlich gut ankommt bei Wahlen. In den USA, aber auch in Deutschland, wo die Grünen und die SPD mit ihrer Attitüde der Verteidiger der Demokratie zwar Mitglieder gewinnen, aber wenig Wahlerfolge haben. Die allermeisten Menschen haben, darf man unterstellen, kein ausgefeiltes abstraktes Konzept von Demokratie im Kopf, an das so etwas anschließen könnte.
Wer sich dem Schutz der Institutionen und geordneten Prozesse verschreibt, riskiert außerdem, blind zu werden für die Schwächen dieser Institutionen und Prozesse. Er riskiert, zu verteidigen, was vielleicht kritikwürdig ist.
Schließlich riskiert sie, sich zu sehr mit etwas gemein zu machen, was weit weg ist vom Leben sehr vieler Menschen, und was eher einzahlt auf die Erzählung vom Kampf der Eliten gegen das Volk.
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Das Problem ist natürlich, dass vieles davon aus Notwehr erfolgt. Donald Trump und MAGA greifen schließlich wirklich die Demokratie an, auf allen Ebenen, den Staat, die Institutionen.
Ich glaube außerdem, dass es sich auch um eine Ausweichbewegung handelt. Die extreme Rechte (und zunehmend leider auch demokratische Kräfte) unterstellen penetrant und zumeist faktenfrei , Universitäten, Schulen, Medien und Staatsapparate, Parteien seien ideologisch homogen, gegen Meinungsfreiheit, na klar: woke, und also Interessenvertreter einer kleinen Minderheit. Die Angegriffenen geraten in die Defensive.
Also verlegen sie sich auf Themen, die nicht eigentlich Gegenstand des politischen Meinungskampfs sein sollten, die ihm vorausgehen: Demokratie, Debattenkultur, Meinungsfreiheit, faire Verfahren, Rechtsstaatlichkeit.
Und dann – siehe oben. Wieder so ein Teufelskreis. Wieder so ein Beispiel dafür, wie der Autoritarismus seine eigenen Voraussetzungen selbst schafft.
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Es lohnt jedenfalls, vermute ich, sich systematisch zu fragen, welche Institutionen und welche Prozesse funktionieren und in welchem Sinne, statt sie schlicht zu verteidigen.
Dass so eine Anti-Staats-Haltung jetzt so durchbricht, dass Forderungen nach Zerschlagung und radikaler Schrumpfung (USA, Argentinien), aber auch die harmlosere Sehnsucht nach Bürokratieabbau, dem Rückzug aus der Wirtschaft (Europa) überhaupt so Resonanz findet, ist an sich bemerkenswert.
Es gibt die These, dass all das jetzt so heftig aufbreche, weil Menschen spürten, dass die Dinge nicht mehr funktionieren, dass der Staat handlungsunfähig geworden sei. Siehe den Echtzeit-Kollaps der Deutschen Bahn.
Das kann natürlich sein, ich hätte aber eine gegenteilige These. Ich vermute, dass es sich um eine Corona-Spätfolge halten könnte. Gerade weil in der Pandemie erfahrbar wurde, wie stark Staaten steuern, wie sehr sie in die Leben eingreifen können, könnte jetzt ein Wunsch nach weniger Staat attraktiv werden.
Woran kein Zweifel besteht: Dass Robert F. Kennedy Jr. ohne die Pandemie nicht eine so präsente Figur geworden wäre. Ohne Corona würde jetzt nicht darauf warten, seinen Job als Trumps Gesundheitsminister übernehmen zu können.
Ein Mann, der in Berlin auf einer Querdenker-Demo redete, der wilden Verschwörungstheorien über die Sicherheit von Impfungen anhängt.
Damit also zum Schluss zu Trump und meinem letzten Newsletter.
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Die Woche der US-Wahl gehörte der Sorge und der Trauer. Das habe ich damals geschrieben und ich habe darauf viele Reaktionen bekommen. Von Menschen, die das auch so sehen oder die es schmerzvoll und zugleich hilfreich fanden, das so festzuhalten. Aber auch von Menschen, die fragten, ob alles in Ordnung sei.
Darauf kann ich gelassen sagen: mit der Welt nicht. Mit mir schon.
Natürlich hatte ich auch schon Phasen, in denen ich von der Weltlage so frustriert war, dass es nachhaltig aufs Gemüt geschlagen hat. Der letzte Text ist in einer anderen Verfassung entstanden. Da war kein allgemeiner Blues, nirgends. Es waren Sorge und Trauer, die aus Analyse erwuchsen. Sozusagen nüchterne Sorge und rationale Trauer, wenn es so etwas gibt.
Ich glaube, es ist wichtig, das zu unterscheiden, um nicht kopflos zu werden und um nicht auszubrennen. Die Dinge werden nicht besser, wenn wir an der Welt leiden und nicht schlimmer, wenn wir uns gut fühlen.
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Meine zentrale Überzeugung über das Leben in Zeiten der Klimakrise habe ich in der Beschreibung dieses Newsletters formuliert – und sie gilt auch für die Trump-Wahl und die Folgen, die sie haben wird:
Wir müssen in Zukunft das Gute und Schöne und Erhabene Umständen abringen, die immer härter werden.
Während wir nach oben laufen, wird der Berg stetig steiler und rutschiger. Das heißt nicht, dass man nicht aufsteigen kann, vielleicht sogar bis ganz nach oben. Aber die Gefahr, abzurutschen, wächst. Das Risiko, zu stürzen, steigt. Und es wird insgesamt anspruchsvoller und zehrender.
Darum geht es. Nicht um verträumte Utopien und nicht um dystopische Hoffnungslosigkeit.
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Was da droht in den USA, hat sich seither in völliger Klarheit gezeigt. Trump verkündet in schneller Folge, wen er für hohe Ämter vorsieht, und es handelt sich um eine Zusammenstellung, für die man das Wort »Gruselkabinett« erfinden müsste, wenn es nicht schon erfunden wäre.
Der designierte Verteidigungsminister trägt einen Leitspruch der Kreuzritter auf dem Körper, der zum Erkennungszeichen der modernen extremen Rechten geworden ist.
Die designierte Geheimdienstchefin fällt mit Schönrednerei von Diktaturen auf, besonders von Russland.
Der designierte Botschafter in Israel sagt, so etwas wie das Westjordanland gebe es gar nicht.
Gegen den designierten Justizminister wurde wegen Menschenhandels ermittelt und er verteidigte den Sturm aufs Kapitol – er war so radikal, dass sich dagegen selbst unter Republikanern Widerstand regte.
Der designierte Gesundheitsminister, der schon erwähnte Robert F. Kennedy Jr., ist nicht nur Impfgegner. Er hat auch, wie jetzt bekannt wurde, Trump, dem er künftig dienen will, im Jahr 2016 noch mit Adolf Hitler verglichen. Das hat er mit J.D. Vance gemeinsam, der nun Trumps Vizepräsident wird.
Ob es so etwas schon mal gab in einem Kabinett in einer Demokratie? Was auf den ersten Blick allerdings vor allem kurios wirken mag, hat eine klare innere Logik.
Eine zentrale Wirkung all dieser Personalien: Sie erneuern noch einmal die Loyalität. Wer sie mitträgt, der hängt mit drin. Je abwegiger die Berufung, desto größer die Wirkung. Je verrückter die Entscheidung, desto größer die Macht des Präsidenten.
Und nichts ist verrückter, als sich einem Mann anzudienen, den man selbst mit Hitler verglichen hat. Es ist die maximale Selbstverleugnung, also die maximale Unterwerfung.
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Und dann ist da noch Elon Musk, der zusammen mit Vivek Ramaswamy eine neue Behörde für “effizientes Regieren” führen soll, die so heißt, weil man den englischen Titel “DOGE” abkürzt und Doge-Coins eine Kryptowährung sind, was Musk mutmaßlich lustig findet.
Möglicherweise hält er auch noch selbst solche Coins, womit er von dem erwartbaren Kursanstieg profitieren würde. Was mitten in eines der vielen großen Probleme führt.
Musk ist der reichste Mann der Welt. Ihm gehören X, die Seite, die früher Twitter war, Tesla, Starlink und SpaceX. Über X macht er Wahlkampf. Mit Starlink beeinflusst er Kriege. Mit SpaceX erfüllt er Aufträge der Regierung. Auch Ramaswamy, ein ungleich reflektierterer Mann als Musk, ist Unternehmer.
Man sieht die Interessenkonflikte sofort. Beide können nun staatliche Vorschriften ins Visier nehmen, die ihren Profitinteressen oder denen von Gönnern und Freunden im Weg stehen. Sie müssten sich eigentlich von ihren Beteiligungen trennen.
Ich bin sehr sicher, dass sie das nicht tun werden.
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Damit ist zu erwarten, dass mit dieser Regierung eine Kultur der offenen Korruption in die USA einzieht.
Korruption wird knapp und klassisch definiert als: Misuse of Public Office for Private Gain. Nutzung eines öffentlichen Amts zum privaten Vorteil.
In den mitteleuropäischen Gesellschaften war Korruption nie weg, aber lange Zeit nichts, worüber man sich im Alltag allzu große Gedanken machen musste. Schon ein bisschen weiter östlich, in den Westbalkanstaaten oder den Nachbarn wie Moldau und der Ukraine, ist das Thema riesig. Um nicht zu sagen, es ist in Friedenszeiten politikbeherrschend.
Korruption ist auch so etwas, das sich selbst am Leben hält. Sie höhlt das Vertrauen ineinander und in den Staat aus. Sie zieht sich durch alle Gesellschaftsbereiche und schafft Anreize, mitzumachen: Der Staat funktioniert schlechter, deshalb wird es für jeden Menschen kompliziert, auszusteigen, denn dann steht er oder sie plötzlich ganz hinten in der Schlange.
Menschen, die in Ländern mit verbreiteter Korruption versuchen, Dinge zu verbessern, sehen in der Korruption oft das große, das zentrale Übel. Politik richtet sich dann danach aus, Anti-Korruptionskampagnen werden zu einem mobilisierenden Thema, aber auch genutzt, um Gegner anzuschwärzen.
Leider gibt es wenige Beispiele dafür, dass der Kampf gegen Korruption wirklich durchschlagenden Erfolg hat. Es ist fast unmöglich, Alltagskorruption zurückzudrängen.
Was gerade in den USA geschieht, kann eine ganze Gesellschaft auf Dauer handlungsunfähiger und dysfunktionaler machen.
Es ist gute, unausgesprochene Tradition, diesen Newsletter mit etwas Erbaulichem zu beenden und ja, diesmal gibt es gute Nachrichten und sie haben mit totem Lachs zu tun.
Folgende Geschichte ist echt und sie ist fantastisch. Ich bin ein bisschen besessen von ihr und alle, die mich privat kennen, können das bezeugen. Also:
Im Jahr 1987 beobachteten Forscher vor der Küste des Nordwestens der USA ein Orca-Weibchen, das einen toten Lachs auf dem Kopf trug. Es gab keine vernünftige Erklärung dafür, der Fisch brachte keinen erkennbaren Nutzen. Trotzdem oder deswegen breitete sich das Phänomen aus. Mehr und mehr Orcas aus derselben Gruppe legten sich einen toten Lachs zu, auch aus anderen benachbarten Gruppen. Für ein paar Wochen war der tote Lachs in. Todschick, sozusagen.
Die einzige Erklärung, die man dafür fand: Es muss sich um so etwas wie eine Mode gehandelt haben. Um ein kulturelles Phänomen also, etwas, das andere Orcas imitieren wollen, das eine Anziehung ausübte. Persönlich finde ich es nicht überraschend, dass Tiere so etwas haben können, aber ungewöhnlich ist es doch und rätselhaft auch.
Damals endete der Hype nach wenigen Wochen so plötzlich wie einst die Ice-Bucket-Challenge. Bis jetzt.
Forscher haben nun wieder Orcas mit totem Lachs auf dem Kopf entdeckt. Noch ist unklar, ob es sich um Alt-Lachsundsechziger handelt, die aus Nostalgie den Trend ihrer Jugend wiederbeleben. Ob es andere Tiere sind, die darauf kamen (oder davon gehört haben?). Ob sich auch diesmal eine Mode entwickelt. Überraschend wäre es nicht, Kleidung und Frisuren aus den späten Achtzigern kamen ja auch unter Menschen schon wieder.
Oder ob es, so viel wissenschaftliche Präzision muss sein, doch eine ganz andere, instrumentellere Erklärung dafür gibt. Ich bezweifle das. Ich glaube an den Trendhut.
Zum ersten Mal habe ich die Geschichte in einem Buch über die Kultur von Walen und Delfinen gelesen. Darin geht es auch um Buckelwale, die anderen Walarten über Kilometer zur Hilfe eilen, wenn die von Orcas attackiert werden und rufen. Um Orcas, die mit Menschen Jagdgemeinschaften bilden. Oder um den 52-Hertz-Wal, einen Geist der Tiefe, von dem bis heute niemand weiß, wer und was er ist und der das einsamste Geschöpf der Meere sein könnte. Zumindest singt niemand so wie er (oder sie).
Es heißt The Cultural Lives of Whales and Dolphins von Hal Whitehead und Luke Edward Rendell und ich habe es sehr genossen.
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Wenn Sie keine Lust auf Wallektüre haben, aber im nahenden Advent Lesestoff brauchen – ich werde versuchen, brav jeden Sonntag einen neuen (und wieder kürzeren) Newsletter ins Postfach zu legen.
Hut auf und herzlich
Jonas Schaible
Danke für Hintergründe und Einordnung zur Weltklimakonferenz. Vermutlich braucht es wirklich einfach jeden "steten Tropfen", um am Ende den Stein zu höhlen.