Der Countdown läuft
Am Montag wird Donald Trump zum zweiten Mal als US-Präsident vereidigt. Die entscheidende Frage lautet: Wird es wirklich das letzte Mal sein?
SPIEGEL-Cover aus dem Jahr 2017
Der Countdown läuft: Nur noch zwei Tage bis zur Inauguration am 20. Januar. Dann wird Donald Trump wieder der mächtigste Mann des Planeten sein.
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Auf einmal ist dieses Wort überall: Oligarchie. Joe Biden hat es in seiner letzten Rede an die Nation verwendet und gewarnt:
»Today, an oligarchy is taking shape in America of extreme wealth, power, and influence that really threatens our entire democracy, our basic rights and freedom, and a fair shot for everyone to get ahead.«
Ich merke seit einer Weile an mir, dass ich diesen Begriff auch vermehrt nutze, dass ich in dieser Kategorie auf einmal über die USA nachdenke.
Ich wünschte, ich könnte behaupten, das liege an meiner analytischen Schärfe, meinem klaren Blick auf die Verhältnisse in den USA. Aber in Wahrheit habe ich ziemlich sicher einfach häufiger darüber gelesen, zunächst in der Wendung »Broligarchy«, der Herrschaft der kumpelnden Mackermänner. Ich kann allerdings nicht sagen, wo es seinen Anfang nahm.
Es handelt sich um eine Weltdeutung ohne erkennbare Autorin. Um eine neue Art, zu denken, die kollektiv entstanden ist, vielleicht nennt man so etwas: Zeitgeist.
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Die Frage ist: Woher kommt dieser Zeitgeist? Und was macht man jetzt mit diesem Wort? Ich glaube, die Antworten auf beide Fragen hängen miteinander zusammen.
Extremen Einfluss der extrem Reichen hat es in den USA vermutlich immer gegeben, ganz sicher in den vergangenen Jahrzehnten. Die Rolle der Großspender ist viel beschrieben worden, der Super-PACs, die Abhängigkeit der Parteien von privatem Kapital, und wie entscheidend Geld im Wahlkampf dort ist, mehr noch als hier.
Wer Geld hat, hat in jeder Gesellschaft einen gewissen Einfluss, schon allein, weil er leichter Zugang zur Macht hat als jemand ohne Geld. Es gibt dazu diese bekannte Studie aus den USA, die vor einem Jahrzehnt erschienen ist, die Schlagzeilen gemacht hat mit dem Befund, dass Politiker stärker auf die Interessen der Reichen reagieren. Und eine andere, die sich Deutschland zwischen 1980 und 2013 anschaut und zum gleichen Ergebnis kommt. Auch wenn diese Überblicksarbeit zeigt, dass es auch Studien gibt, die gegenteilige Ergebnisse haben.
Reichtum ist Macht, das gilt. Aber es gilt mal mehr und mal weniger.
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Im Begriff der Oligarchie steckt aber natürlich noch mehr. Erstens eine normative Wertung. Das Land, für das mir »Oligarchie« am häufigsten verwendet zu werden scheint, ist Russland. Oder für andere post-sowjetische Diktaturen.
Man könnte vermutlich sagen, dass der Begriff so verwendet wird: Eine Oligarchie ist eine illegitime Herrschaft der Reichen, im Unterschied zur legitimen Einflussnahme der Reichen in anderen (demokratischen) Gesellschaften.
Wenn man es so versteht, dann steckt vor allem ein Werturteil darin, Musk, Zuckerberg und die anderen Milliardäre zu Oligarchen zu erklären, just in dem Moment, in dem sie Trump ihre Aufwartung machen.
Man kann das nicht so ganz überzeugend finden. Eine gewisse Willkür steckt schon darin.
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Aber dass genau dieser Begriff in genau diesem Moment so logisch erscheint, hat natürlich auch mit der Natur dieses Moments zu tun. Ich glaube, dass jetzt stärker als in Trumps erster Amtszeit die allgemeine Erwartung gibt, dass es bergab geht mit der US-Demokratie. Dass er da ein System etabliert, das sich von dem der US-amerikanischen Hegemonie-Jahre in vielem radikal unterscheidet.
Damals gab es all diese Warnungen auch schon, vor der Gefahr für die US-Demokratie, vor seinen autoritären Impulsen, alles war sichtbar und wurde besprochen, aber es stand stärker als heute unter Rechtfertigungsdruck.
Heute scheint mir, und ich kann das nicht belegen, die Erwartung, dass Trump Regime Change betreibt, weitgehend Konsens. Und zwar unter seinen Gegnern wie unter seinen Anhängern.
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So lese ich jedenfalls die Unterwerfung der Oligarchen in der Tat als Hinwendung zu einem quasi-autoritären Herrscher und damit als eine Verwandlung der Personen wie des Systems.
Zumal es sich, und da wird es jetzt erst eigentlich interessant, um kommunizierende Röhren handelt. Die Tatsache, dass sich die Reichsten, die Zeitungsbesitzer und Großunternehmer des 21. Jahrhunderts so offen auf seine Seite schlagen, belegen sie einen Wandel und treiben ihn zugleich voran.
Ihre Analyse, so darf man unterstellen, dürfte lauten: Es ist jetzt der Punkt erreicht, an dem es höchstwahrscheinlich schadet, sich Trump nicht zu unterwerfen.
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Dabei spielen verschiedene Gründe zusammen. Er hat seine Partei sich ganz und gar gefügig gemacht und noch mehr Loyalisten um sich, also auch weniger Alliierte, die versuchen, seine Impulse zu bremsen.
Er hat jetzt den Popular Vote gewonnen, also mehr Stimmen als Harris, es setzt sich die Erzählung durch, das Land wolle eben einfach seine Art, Politik zu machen. +
Die allgemeine Stimmung in westlichen Demokratien scheint sich verschoben zu haben, Gesellschaften sind offener für autoritäre Ideen. Oder scheinen es zu sein.
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Man muss an dieser Stelle auch noch einmal über das große Eliten-Versagen sprechen, das ich neulich im Text über die Unterwerfung erwähnt habe.
Man hat Trump nicht in die Schranken gewiesen, nicht bestraft. Es liefen zwar zahlreiche Prozesse und er ist nun verurteilter Straftäter, aber das hat keine Folgen. Es gab kein Impeachment. Es gab zuletzt nicht einmal eine Strafe nach der Verurteilung. Im Bemühen, nicht parteiisch zu wirken oder das Trump-Lager aufzuwiegeln, hat man es ermächtigt.
Eine nüchterne Analyse der US-amerikanischen Gesellschaft im Jahr 2025 lautet:
Trump und Musk und das ganze MAGA-Lager geht laufend auf politische Gegner los, mit Klagen, Schmähungen, Zensur, und hat damit durchaus Erfolg. Umgekehrt droht ihnen kaum etwas. Selbst denjenigen, die am 6. Januar 2021 das Kapitol gestürmt haben, verspricht Trump Begnadigung. Wer Gesetze bricht, kann auf einen Job im Kabinett hoffen.
Wer sich gegen ihn stellt, kann ernsthaft Schaden nehmen. Wer sich ihm anschließt, kommt wahrscheinlich davon.
Es hätte nicht so sein müssen. Aber die Ängstlichkeit des Nicht-MAGA-Lagers hat dazu beigetragen, dass es so ist.
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Das hat, so weit ich sehe, niemand so formuliert, aber es scheint mir die weitreichendste und beunruhigendste Annahme zu sein, die in der rituellen Unterwerfung sichtbar wird: Trump wird nicht mehr als Ausnahme wahrgenommen, sondern als Regel. Er erscheint als unausweichlich.
Es ist ja erklärungsbedürftig, dass der Umgang mit ihm unter Macht- und Geldeliten ein anderer war, als er neu an der Regierung war und potenziell acht Jahre hätte vor sich haben können, zwei Amtszeiten am Stück. Nun darf er nicht mehr kandidieren, eigentlich. Er wird nach 2028 nie wieder US-Präsident sein. Eigentlich. Der Spuk hat dann ein Ende. Eigentlich.
Die Frage ist, wer das eigentlich glaubt. Meine Vermutung lautet: Viele glauben es nicht.
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Die Macht eines autoritären Herrschers hängt immer auch daran, wie undenkbar eine Welt ohne ihn ist. Demokratien haben nur deshalb einen so wenig ehrfürchtigen Umgang mit Macht, weil sie immer Macht auf Zeit ist. Mit klaren Amtszeiten, manchmal auch Begrenzungen, und der geregelten Möglichkeit, sie zu entziehen. Danach wartet ein normales Leben auf die ehemaligen Machthaber und alles dreht sich weiter.
Wenn man weiß, dass man sich für eine Welt nach dem Herrscher vorbereiten muss, wird man seine Loyalität weniger bedingungslos ausleben. Widerstand erscheint zweckmäßig: Um das Leben danach zu organisieren.
Würde man Trump als Mann für vier Jahre begreifen, würde Gesellschaft gerade anders reagieren.
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Wir kommen gleich auf diesen Gedanken zurück, vorher noch eine weitere Überlegung zur Oligarchie. Was ich an dem Begriff erhellend finde, ist, dass er den Blick auf mehr lenkt als den Machthaber an sich.
Wenn ich das russische System richtig verstehe, und ich kann mich dabei nur auf Schilderungen von Menschen beziehen, die sich damit auskennen, dann funktioniert es so: Putin lässt die Macht- und Wirtschaftseliten weitgehend gewähren, ebenso wie organisierte Kriminalität. Er achtet darauf, dass keine einzelne Gruppe zu mächtig wird, vor allem im Sicherheitsapparat. Ansonsten gibt er ihnen die Möglichkeit, sich zu bereichern und um seine Gunst zu konkurrieren, um sich noch mehr zu bereichern.
Ein Teil des Deals lautet aber: Wenn der Staat ihre Dienste braucht, dann haben sie in seinen Dienst zu treten. Wenn er Hacker benötigt, dann müssen sie für ihn zu Agenten werden. Wenn er einen Mittelmann benötigt, muss ein Milliardär für ihn zum Broker werden.
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Der Unterschied zur Einflussnahme von wirtschaftlichen Eliten in liberalen Demokratien ist also idealtypisch der:
In Demokratien haben die Reichen mehr oder weniger stark privilegierten Zugang, um darauf hinzuwirken, dass die Regeln in ihrem Sinne angepasst werden (so wie alle anderen gesellschaftlichen Gruppen versuchen, darauf hinzuwirken, dass die Regeln in ihrem Sinne angepasst werden). In einer Oligarchie wird den Reichen signalisiert, dass für sie keine Regeln gelten, solange sie sich dafür nutzen lassen, die Welt zugunsten des Herrschers zu formen.
Damit werden sie zu einem Instrument, die Herrschaft des Rechts zu unterwandern und zu einer Willkürherrschaft zu kommen.
Mir scheint, das ist keine unplausible Vorhersage, wenn wir über die USA unter Trump sprechen – und ein hilfreiches Raster, um die Wirklichkeit, die ab Montag gilt, zu beobachten.
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Damit noch kurz zur Frage der Unausweichlichkeit. Was die Internetgiganten deutlich gemacht haben: Von ihnen wird nichts anderes zu erwarten sein als Anpassung.
Was mehrere Herausgeber deutlich gemacht haben: Auch von ihnen wird wenig zu erwarten sein, Dissidenz sowieso nicht, aber vielleicht noch nicht einmal unvoreingenommene Machtkontrolle nach grundlegenden journalistischen Standards.
Die New York Times berichtet, dass in der Washington Post derzeit intern der neue Leitspruch getestet werde: Riveting Storytelling for All of America. Also etwa: Fesselnde Geschichten für das gesamte Amerika. Bloß nicht spalten, bloß nicht die realen Konflikte anerkennen, bloß nicht widerständig erscheinen. (Als Trump zum ersten Mal gewählt wurde, gab sich die Post das Motto: Democracy dies in Darkness. Es soll wohl oben auf der Zeitung bleiben – aber der Unterschied in der Haltung könnte gravierender kaum sein.)
Massendemonstrationen gibt es ebenfalls nicht bisher, viel Verzweiflung, wenig Zuversicht. Man richtet sich ein in dem Gefühl der Vergeblichkeit.
Ich gehörte schon vor acht Jahren zu denen, die nicht so zuversichtlich waren, was die Widerstandskraft der demokratischen Institutionen und Normen anging. Man sollte sich da keinen naiven Hoffnungen hingeben. Aber noch steht die Amtszeitbegrenzung im 22. Verfassungszusatz. Noch gilt die Verfassung etwas.
Für eine Verfassungsänderung fehlt Trump die Mehrheit. Er müsste sich also am Ende der vier Jahre mit Gewalt darüber hinwegsetzen. Das ist vorstellbar, aber ein großer, ein radikaler Schritt. Einer, der mobilisieren kann.
Wenn man angesichts der Lage nicht verzweifeln will, dann muss sich das Denken, glaube ich, darauf konzentrieren: Four more years. Only four more years.
Danach muss es vorbei sein und sehr viel vom politischen Denken und Handeln muss sich auf diesen Punkt richten: Druck auf Republikaner, Druck auf Staatsanwälte und Richter, Druck auf die Öffentlichkeit, Druck auf Polizei und Militär, alle müssen wissen: Es ist danach vorbei. Es kann kein Trump III geben. Niemals und unter keinen Umständen.
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Only four more years. Der Countdown beginnt am Montag.
Herzlich
Jonas Schaible
Zu den „only 4 more years“ ist ja schon die Frage ob Trump diese, bzw. noch mehr die 4 danach durchhält, denn er ist ja schon jetzt der Älteste Präsident der Vereinigten Staaten und hat auch etwas abgebaut (ersichtlich im Vergleich zwischen den TV Duellen 2016 & 2024). Das soll nicht Frage erübrigen, ob selbst ein Alter Trump eine Gefahr ist.
Trotzdem wie gehts dann weiter? Wie weit bleibt der Trumpismus oder die Oligarchie auch nach Trump bestehen?
Das Motto der Washington Post war falsch. Treffender wäre:
Democracy dies in the Spotlight