Es gibt Sätze, die haben eine unmittelbare Wirkung, wenn man sie hört. Manchmal sind es gute Sätze, bewegende, wundervolle. Manchmal sind es harte Sätze, brutale, erschreckende. Viele verlieren ihre Wirkung nach einiger Zeit. Wenn man den Kontext kennt oder den Tonfall, in dem sie gesagt werden.
Selten sind Sätze, die nachhallen , lange, nachdem sie gesprochen wurden. Sätze, die auch nach Tagen nichts von ihrer Wirkung verlieren.
Dieser Satz gehört für mich dazu: “Das ist die Drecksarbeit, die Israel macht für uns alle". Gesagt hat ihn Friedrich Merz, der deutsche Bundeskanzler, im ZDF-Interview Anfang vergangener Woche. Es ging um israelische Angriffe auf Nukleartechnik, Militäranlagen und Führungspersonen Irans.
Merz sprach Israel seinen “größten Respekt” dafür aus, sich zu den Angriffen entschieden zu haben, die Dreckarbeit gemacht zu haben. Er steht weiter dazu und nahm, angesprochen auf den Begriff, für sich gerade “analytische Klarheit” in Anspruch.
Ich finde den Begriff immer noch atemberaubend.
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Zuerst natürlich, weil man ihm die Lust an der Grenzüberschreitung anmerkt, jedenfalls ist das mein Eindruck. Drecksarbeit, Drecksarbeit, Drecksarbeit. Da zucken alle, nicht wahr?
Aber ist das die Sprache der Diplomatie? Ist es die eines Bundeskanzlers? Ist es die Sprache, in der man redet, wenn Zivilisten zu Schaden gekommen, andere Menschen gezielt ermordet wurden, selbst wenn man sie für Schergen des Bösen hält?
Aber das ist nur die eine, nur die erste Ebene. Es geht weiter mit dem Recht und es führt, für alle, die finden, Normen und Recht und Stil seien nichts für die große Bühne mit den großen Jungs und schweren Waffen, direkt zur Geopolitik.
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Das Recht ist eine tückische Disziplin. Auf den ersten Blick scheint es so klar, und auf den zweiten ist die Klarheit verschwunden. Recht und die Auslegung ist politisch, vor allem, wenn es um Politik geht.
Wenn irgendetwas passiert auf der Welt, dann kann man fast nie mit hundertprozentiger Gewissheit sagen: Das verstößt gegen dieses und jenes Recht. Auch in diesem Fall gibt es Hilfskonstruktionen, mit denen zumindest einige Angriffe als völkerrechtlich behauptet werden können – wenn sich Israel und Iran dauerhaft im Krieg befinden.
Aber wenn überhaupt, dann gilt das für Israel und nur für Israel, das als flächenmäßig kleines und offensiv vom Iran bedrohtes Land zudem wirklich existenziell durch iranische Atombomben bedroht wäre. Es gilt nicht für, Zitat, “uns alle”, Deutschland, den Westen, die Nato, die USA, wen auch immer.
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Es war dann keine Überraschung, dass Deutschland den Eintritt der USA in den Krieg nicht recht verurteilen konnte (und wollte), etwas, was Emmanuel Macron hinbekommen hat. Wer Respekt dafür hat, dass Israel angeblich die Drecksarbeit für uns alle macht, muss auch Respekt für die USA haben, wenn sie sich anschließen.
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Was die mit ihren Bombardements gesagt haben, für die es völkerrechtlich nun wirklich keine Begründung mehr gibt, die nicht offensichtlich interessengeleitet zurechtgezupft ist, das ist: Völkerrecht, Schmölkerrecht, der Zweck heiligt die Mittel, wenn die Mullahs1 keine Atombombe bekommen, ist alles erlaubt.
Wenn man das denkt und fühlt und dann auch noch sagt, sollte man wissen, wie das im Rest der Welt ankommen muss. Alle, die uns im Westen vorgeworfen haben, mit zweierlei Maß zu messen. Die überzeugt waren, dass der Westen das Völkerrecht immer nur nutzt, um andere zu binden, nie sich selbst, und dass all das Gerede von Werten und Regeln eine Lüge war, die dazu gedacht war, dem Westen zu helfen.
Das war vermutlich nie ganz falsch, aber es war auch nicht immer ganz richtig. In Wahrheit war es wohl so, dass die Weltordnung der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, zu der auch stärkere Verrechtlichung und Konfliktbeilegung jenseits von militärischer Macht gehörten, für viele einen Nutzen brachte. Nur der beherrschenden Kraft, den USA und ihren Alliierten, im Mittel etwas mehr. Was es umso absurder macht, dass Trump diese Ordnung mit Macht einreißt.
Trump verlässt sich, das dürfte man als Leitmotiv seines Lebens beschreiben können, auf die Überwältigung und den Zwang. Er kooperiert nicht, er drängt andere in die Unterwerfung. Ich habe das schon mal beschrieben. Es funktioniert für ihn, man sah das am devoten Brief des Nato-Generalsekretärs Mark Rutte (“You are flying into another big success in The Hague this evening”).
Er verwandelt die Welt also weiter in eine, in der es nur noch auf Marschflugkörper, Lufthoheit und Ruchlosigkeit ankommt.
Das ist offenkundig eine Welt, in der Deutschland (keine Atomwaffen, eine schlecht ausgerüstete Armee) eine ziemlich kleine Nummer ist, weder selbst übermäßig durchsetzungsstark noch als Verbündeter übermäßig attraktiv. Als Verbündeter all jener, die irgendeine Form von Ordnung wollen, in denen sich die Großmächte und Regionalfürsten nicht beständig aufführen, wie die Axt im Walde, macht man sich aber natürlich auch unattraktiv, wenn man die Axt bejubelt.
Das Ergebnis dieser Wochen ist, dass man sich viel stärker von Donald Trumps USA abhängig gemacht macht, als man es vorher sowieso schon war.
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Was an dem Drecksarbeitssatz ebenfalls bemerkenswert ist: Es war ein weiterer Moment, in dem der Kanzler und seine wichtigen Mitstreiter deutlich gemacht haben, dass die Bindung durch das Recht, vorsichtig ausgedrückt, für sie zu den nachrangigen Erwägungen zählt.
Da wäre die Forderung, eingebürgerten Deutschen die Staatsbürgerschaft zu entziehen. Da wäre die Ansage im Wahlkampf, Merz würde Benjamin Netanyahu in Deutschland empfangen, obwohl gegen ihn ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs vorliegt, an den Deutschland gebunden ist. Da wäre die Beiläufigkeit, mit der Merz, die Union und nun Innenminister Alexander Dobrindt über Zweifel an der Rechtmäßigkeit ihrer Zurückweisungspläne hinweggingen. Zuletzt sogar über einen Gerichtsbeschluss2, der grundsätzliche Einwände formuliert, der von Dobrindt als Einzelfallentscheidung wegerklärt wurde.
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In solchen Fällen ist es verlockend, das Slippery-Slope-Argument zu machen, also die Warnung davor, dass man sich auf eine glitschige Rutschbahn oder eine schiefe Ebene gesetzt hat und unweigerlich weiter (in Richtung Abgrund) schlittert.
Wenn das durchgeht, dann… !
Nun ist es natürlich so, dass in der Politik und der sozialen Welt selten aus einem Wenn unweigerlich ein Dann folgt. In diesem Fall konkret: Ein Minister kann sich weigern, ein Gerichtsurteil anzuerkennen, und trotzdem in Zukunft wieder Gerichtsurteile anerkennen. Es gibt so wenig Zwangsläufigkeiten in der sozialen Welt.
Das macht das Argument, so wichtig es ist, auch gefährlich und oft nicht sonderlich hilfreich. Ich habe es auch oft im Kopf und versuche meistens, es mir zu versagen.
Mehr Sinn macht es, nach Momenten Ausschau zu halten, in denen Systeme dabei sind, in einen neuen Zustand überzugehen. In denen systematisch Dinge möglich und sagbar werden, die vorher undenkbar und tabuisiert waren. Die werden aber nicht in einer Handlung oder einem Satz sichtbar, sondern in der Zusammenschau.
In diesem Fall ist die Welt gerade dabei, in einen Zustand überzugehen, in dem Regeln wieder nichts mehr und Macht wieder alles zählen.
Skeptiker aus allerhand Ecken könnten dagegen nun einwenden, in Wahrheit sei das nie anders gewesen, und tatsächlich wieder frage ich mich skeptisch, ob ich ein bisschen sehr zu liberaler Demokratieromantik neige (und vermutlich tue ich das).
Aber eigentlich, glaube ich, auf eine sehr wenig romantisierende Weise. Es scheint mir nur einfach so zu sein: Liberale Demokratien bieten die Chance, dass sich zumindest nicht immer und überall nur die Skrupellosesten durchsetzen. Das gleiche gilt für verrechtlichte Ordnungen generell, eine Welt der Regeln und unabhängigen Gerichte, und übrigens auch für die Meritokratie als Idee.
An allen diesen Konzepten gibt es genug Kritik für ganze Bibliotheken, aber das ist doch etwas wert: eine Chance, dass nicht immer garantiert nur die Brutalos und Betrüger das Sagen haben.
Beides, die Welt im neuen Zustand und die Brutalos und Betrüger an der Macht, führt mich zu meiner anregendsten Urlaubslektüre, denn es war hier natürlich nicht ohne Grund so lange still. Ich hatte eine Weile Pause.
Gelesen habe ich, unter anderem, “Kolumbus’ Erbe” oder im englischen Original “1493” von Charles C. Mann, der beschreibt, wie sich die Welt durch den kolumbischen Austausch nach der Eingliederung der Americas in die europäische und asiatische Welten geändert hat. Nämlich: grundsätzlich. Und oft genug, weil sich die Natur verändert hat, Arten sich verbreitet haben.
Ich vermute, ich werde daraus noch häufiger zitieren, es ist ein wirklich faszinierendes Buch. Darin geht es ausführlich um die Freibeuterei und es geht um Feldzüge der Konquistadoren. Ich habe mich dann etwas hineingeschmökert in die Lebensgeschichten von Sir Francis Drake und Hernán Cortés. Den einen kennt man, weil er geholfen hat, die spanische Armada zurückzuschlagen. Den anderen, weil er Tenochtitlan erobert und das Aztekenreich beendet hat. Beide werden erinnert als Männer, die Geschichte geschrieben haben.
Beide waren großmannssüchtige Gestalten. Abenteurer, Glücksritter, immer bereit, den eigenen Vorteil zu suchen, dabei enorme Risiken einzugehen und anderen zu schaden. Drake begann auf Sklavenschiffen und wurde als Pirat berühmt, Cortés vernichtete die Hauptstadt einer Hochkultur.
Beide hatten immer wieder mehr Glück als Verstand. Cortés etwa, als sein erster Angriff auf Tenochtitlan scheiterte, aber unter anderem die Pocken die Indigenen derart marterten, dass er die geschwächte Stadt im zweiten Versuch doch einnehmen konnte. Drake bei hochriskanten Kapernfahrten und Hinterhalten, bei denen Mitstreiter getötet wurden, Schiffe sanken und sein Bruder starb.
Beide hatten enorme Fehlschläge. Cortés, als er Schiffe auf die Molukken schicken wollte, was fürchterlich schiefging. Drake, als er die Königin von England überredete, mit einer Gegenarmada die Spanier anzugreifen, was scheiterte, woraufhin er geschlagen und im Zorn noch die Stadt Vigo vernichten ließ.
Cortes zeugte viele Kinder mit vielen Frauen, unter anderem mit der Tochter Moctezumas, dessen Reich er zerstört hatte.
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Ich musste beim Lesen an andere Männer denken, die Geschichte schreiben. Niemand kann bestreiten, dass Tesla als erster Autohersteller Elektroautos für Massen interessant gemacht hat, niemand kann bestreiten, dass Space-X den Weltraum dominiert und das Starlinknetz eine enorm einflussreiche Infrastruktur ist. Trotzdem habe ich Elon Musk nie für ein Genie gehalten.
Was ihn und seinen Erfolg ausmacht, ist nicht die eine brillante Erfindung, auch nicht die systematische Arbeit an der Erkenntnis, sondern in erster Linie eine Mischung aus Abenteuerlust, Kühnheit, Risikobereitschaft, Skrupellosigkeit, Geltungsdrang, Machtlust, permanente Grenzüberschreitung und Glück. Man kann ihm nicht absprechen, dass er etwas verändert und bewirkt. Man sollte nur verstehen, wie er das schafft.
Musk ist kein Erfinder, auch kein klassischer geschickter Unternehmer, so wie Trump kein typischer Staatsmann ist. Beide sind eher der Typ Entdecker, Freibeuter, Konquistador. Wer Männer wie Musk vergleichen und Männer wie Trump verstehen will, sollte sich nicht Thomas Edison anschauen, auch nicht Steve Jobs oder Abraham Lincoln, sondern Hernán Cortés oder Francis Drake.
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Beide historische Figuren, Drake und Cortés, unternahmen übrigens Ausflüge in die Politik. Drake war mehrere Jahre Parlamentsabgeordneter, was ihn aber nicht übermäßig zu begeistern schien. Cortés ging nach Spanien und musste feststellen, dass der Kaiser kein Interesse daran hatte, ihm politische Macht zu übertragen. Beide blieben rastlos bis zum Schluss und starben, so weit sich das aus der Lektüre erschließt, als unglückliche Männer.
Wenn ich hier über Amseln und Mauersegler schreibe, dann weiß ich natürlich, dass nur ein Teil der Menschen diese Begeisterung teilt und ein vermutlich größerer Teil sie leicht kauzig findet. Auch wenn ich bemerkenswert viele Nachrichten bekomme von Menschen, die Mauersegler erwarten oder entdeckt haben oder realisiert, dass das, was sie immer für Schwalben hielten, Mauersegler sind, und ich freue mich über jede einzelne davon sehr.
Es gibt aber meiner Erfahrung nach Momente, deren Faszination sich kaum jemand entziehen kann: wenn Wale auftauchen.
Ich hatte zweimal das Glück, in europäischen Meeren Pottwale zu beobachten, und beide Male wurde das ganze Boot sofort andächtig still. Besonders eindrücklich ist es, wenn man sie atmen hört. Man erlebt das sonst nicht oft: dass man Tieren dabei zuhören kann, einfach nur zu sein.
So war es auch jetzt im Urlaub am Mittelmeer, Delfine tauchten auf und blieben eine ganze Weile. Man hörte ihren Atem. Sie gondelten hierhin und dorthin, irgendwann sprangen zwei immer wieder. Und alle, die da waren, schauten still und andächtig zu.
Man spricht nicht, wenn Wale in der Nähe sind. Man flüstert höchstens. Und staunt.
Herzlich
Jonas Schaible
Kleine Randbemerkung: Meine kleine Privatheuristik lautet, je häufiger in einer Abhandlung über irgendetwas, das mit dem Iran zu tun hat, das Wort “Mullah” auftaucht, desto weniger Mühe steckt in dieser Abhandlung. Vermutlich, weil das so eine begriffliche Abkürzung ist, die so viel Landeskenntnis und zugleich Haltung transportieren soll, dass sie ihren Platz immer da hat, wo viel abgekürzt wird.
In der ersten, per Mail verschickten Version habe ich fälschlich von einem Gerichtsurteil geschrieben. Es handelte sich aber um einen Beschluss in Eilverfahren. Danke für den Hinweis!
Endlich macht der Schaible wieder die "Drecksarbeit". Spannend bis in die Fußnote, natürlich auch der Tiercontent. 😉
Die „Drecksarbeit“-Phrase von Friedrich Merz besagt, dass Völkerrecht (und in der Konsequenz der demokratische Rechtsstaat) für ihn fakultativ sind. Die Guten dürfen sich durch diese Formalien nicht hindern lassen, Gutes zu tun und Böses abzuwehren. Diese Einstellung ist in Deutschland sehr verbreitet, in allen sozialen und allen Bildungsschichten. Nicht dass Merz so denkt, macht den Vorgang beachtenswert, sondern dass er als Bundeskanzler Deutschlands dies öffentlich ausspricht und der überwiegende Teil der meinungsprägenden Medien diese Aussage kritiklos kolportiert.
Das zeigt an, dass „Demokratie & Rechtstaatlichkeit“ bei den maßgeblichen Mittel- und Oberschichten in Deutschland als gesellschaftlich hegemoniales Selbstverständnis am Abdanken ist. Diese Abwendung von Demokratie und Rechtsstaat durch die staatstragenden politischen und sozialen Kräfte ist der Kern der Demokratiekrise in Deutschland. Die antidemokratische AfD ist „nur“ der Nutznießer dieser Entwicklung in den „staatstragenden Parteien“.
War es denn je anders? fragt mancher. Haben nicht trotz allem Gerede von Demokratie, Rechtsstaat und Völkerrecht die militärisch, wirtschaftlich und politisch Mächtigen die Entwicklung beherrscht? Ja, das gesellschaftliche Geschehen, ob national oder global, ist machtbestimmt. Aber nationales und internationales Recht zivilisieren den Interessen geleiteten Kampf der Mächtigen durch Regeln, in ihrem wohlverstanden eigenen wie im allgemeinen Interesse. Das setzt die verbale öffentliche Anerkennung dieser regelbasierten Ordnung voraus, selbst wenn der Regelbruch alltäglich ist. Das ist im Zivilrecht nicht anders.
Wenn aber wichtige nominelle Träger des Rechtssystems dessen allgemeine Gültigkeit für alle und jeden öffentlich infragestellen, dann zerstören sie es. Dass sie das tun können, ohne eine Welle der Empörung in der zivilen Gesellschaft auszulösen, zeigt, wie weit der Zersetzungsprozess von Demokratie- und Rechtsstaatsbewusstsein in der deutschen Gesellschaft fortgeschritten ist.