Vor ein paar Tagen war ich im Theater, im Stück »Vatermal« von Necati Öziri am Maxim-Gorki-Theater. Darin erzählt ein junger Mann, gerade einmal Student, der im Sterben liegt, von seinem Leben. Vom Leben seiner Mutter, seiner Schwester, einer Familie ohne Vater, einer Familie in einem Land, das sie als Fremde betrachtet.
Der Vater, einst wie die Mutter aus der Türkei nach Deutschland gekommen, ein Linker, Regimegegner, politisch Verfolgter, der über Umwege geflohen und dann doch, offenbar, zurückgekehrt war, obwohl ihm Haft drohte. Zurück blieb die Familie und der Sohn, kurz vor dem Tod, will dem Vater »für immer die Möglichkeit nehmen, nicht zu wissen, wer ich war.«
Im Theaterstück, dem ein Roman zugrunde liegt, behandelt das Ausländeramt die in Deutschland geborenen, staatenlosen Kinder mit einem Desinteresse, das genauso gut Böswilligkeit sein kann. Gehen Männer mit gesenkten Blicken durch die Stadt. Arbeiten sie mechanisch im Schichtdienst. Sind sie nur im Teehaus unter sich und bei sich, weil dort andere dieselben Geschichten haben wie sie.
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Dabei muss ich an die Interviewreihe »D’ici, d’ailleurs« von France Inter denken, übersetzt: Von hier, von anderswo. Sie wurde mir vor vielen Jahren im Französischkurs empfohlen, weil die Unterhaltungen etwas langsamer sind, was an der Interviewführung liegt, aber auch daran, dass die Gäste immer Menschen sind, die nach Frankreich eingewandert sind.
In jeder Folge geht es um »des histoires d’hommes et de femmes étrangers, immigrés, exilés venus vivre en France«, also um die Geschichten von Männern und Frauen, die fremd sind, eingewandert, ins Exil getrieben, nach Frankreich gekommen, um dort zu leben.
Die Gäste kommen aus Iran, Vietnam, Kuba, Argentinien oder Syrien. Oft sind sie beruflich erfolgreich, nicht selten sind sie Künstler*innen. Es geht immer um ihre Kindheit, um Musik, Gerüche, Klänge, aber natürlich geht es auch immer um den Grund, warum sie gegangen sind.
Es sind, immer wieder, ähnliche Geschichten. Sie handeln vom Krieg in Vietnam, von der Junta in Argentinien, der islamischen Revolution in Iran, von Castro in Kuba und der Assad-Herrschaft in Syrien, den großen Momenten des 20. Jahrhunderts. Den berüchtigten Diktaturen.
Sie handeln von Eltern, die politisch aktiv waren oder einfach nur nicht mitmachen wollten, vom Schweigen, manchmal von Folter, mitunter von einer glücklichen Kindheit trotz allem, aber den Narben und Verwundungen dieser Zeit.
Wie viele Menschen diese Geschichten mit sich tragen, in sich tragen, ins Grab tragen. Wie viele Bücher geschrieben werden und erst recht geschrieben werden müssten, um einen Umgang damit zu finden, persönlich und als Gesellschaften. Wie lange die Schläge nachwirken, wie tief sich Angst und Gewalt hineingefressen haben in die Leben.
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Und dann gibt es da Menschen, denen es offensichtlich Lust bereitet, zu verletzen. Einige von ihnen haben in den USA gerade sehr viel Einfluss. So wie Russell Vought, der einer der wichtigen Köpfe hinter dem Project 2025 war, der extrem rechten Vision für die Zeit nach einer Machtübernahme. Er ist jetzt Chef des Office of Management and Budget, so etwas wie die Oberaufsicht der US-Verwaltung.
Bekannt ist er vor allem für diesen Satz: »We want the bureaucrats to be traumatically affected (...) When they wake up in the morning, we want them to not want to go to work, because they are increasingly viewed as the villains. We want their funding to be shut down … We want to put them in trauma.«
“Wir wollen, dass die Bürokraten ein Trauma bekommen. (...) Wenn sie morgens aufwachen, sollen sie nicht zur Arbeit kommen wollen, weil sie zunehmend als die Bösen gesehen werden. Wir wollen ihre Finanzierung stoppen (...) Wir wollen sie traumatisieren.”
Wir wollen sie traumatisieren – was für ein seltsamer, was für ein bösartiger Satz. Aber gar nicht so ungewöhnlich für diese US-Regierung.
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Das ist mir neulich erst so richtig bewusst geworden: Dass es fast nichts gibt, was Trump und die Leute in seinem Umfeld nicht sagen oder tun.
Trump bezeichnet sich als König. Er behauptet, er könne kein Recht brechen. Musk zeigt den Hitlergruß und andere MAGA-Männer machen es ihm nach. Sie stoppen Entwicklungshilfe und damit die Versorgung von unzähligen, womöglich Millionen Menschen mit HIV, mit Malaria, mit Ebola. Sie stoppen Zahlungen ans World Food Programm, weshalb Menschen wahrscheinlich verhungern werden.
Sie bezeichnen Landsleute als Feinde. Sie bezeichnen Selenskyj als Diktator. Sie fordern andere Länder auf, sich annektieren zu lassen.
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Und dann wies mich ein Freund auf einen Text in der New York Times (Geschenklink) aus dem vergangenen Sommer hin, der etwas beschreibt, das ich trotzdem noch atemberaubend finde. Schon im vergangenen Jahr erschien ein Buch, geschrieben hat es Jack Posobiec, der ein Vertreter der extrem rechten Propagandaklasse ist, viele Verschwörungstheorien verbreitet.
Das Buch heißt: »Unhumans«. Also: »Nichtmenschen«. Oder »Unmenschen«. Untertitel: Die geheime Geschichte der kommunistischen Revolutionen (und wie man sie zerschlägt).
Ich habe es selbst nicht gelesen, aber man findet zahlreiche Beschreibungen, mit ausführlichen Zitaten, und offensichtlich sind für Posobiec Kommunisten gleich »Progressive« gleich Nichtmenschen. Die seien, so ein Zitat, »gegen die Menschheit selbst, so stellen sie sich selbst gänzlich außerhalb der Kategorie, in eine ganz neue von Elend getriebene Untergruppe, die Nichtmenschen.«
Zu diesem Buch gibt es eine Empfehlung, sie kommt von J.D. Vance, dem heutigen US-Vizepräsidenten, und sie lautet übersetzt so:
»In der Vergangenheit sind Kommunisten durch die Straßen marschiert und haben rote Fahnen geschwungen. Heute marschieren sie durch die Personalabteilungen, den Campus von Colleges und durch Gerichtssäle, um Krieg zu führen gegen gute, ehrliche Menschen« - »Jack Posobiec und Joshua Lisec enthüllen ihre Pläne und zeigen uns, wie wir zurückschlagen können.«
Vorbilder für die Pläne, zurückzuschlagen sind, entnehme ich den Rezensionen, unter anderem der spanische Diktator Francisco Franco, dem im spanischen Bürgerkrieg die Nazi-Luftwaffe zu Hilfe kam, und der chilenische Diktator Augusto Pinochet. Francos Umgang mit Linken beinhaltete Erschießungen und Lager. Pinochet ließ sie lebendig aus Flugzeugen in den Fluss werfen.
Das Buch haben, man kann das etwa auf Amazon nachlesen, neben Vance auch Tucker Carlson und Donald Trump Jr. empfohlen. Einer der bekanntesten Propagandisten der USA, langjähriger Fox-News-Star, und der Sohn des US-Präsidenten.
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Man muss da noch nicht einmal etwas deuten. Es braucht keinen Kontext, keine Einordnung, keine historische Kenntnis. Das ist offensive Entmenschlichung als politisches Programm, beworben von einigen der wichtigsten Männer der US-Regierung. Es ist jene Art von Sprache, die Pogrome vorbereitet, Kriege, Massenhinrichtungen, Völkermorde.
Mir fiele spontan nichts ein, von dem ich sicher wäre, dass es Trump, Vance, Musk oder wichtige Menschen aus ihrem Umfeld nicht sagen. Nichts, von dem ich überzeugt wäre, dass Trump es unterbinden würde.
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In den vergangenen Wochen hatte ich immer wieder Gespräche über die Weltlage, über die USA, in denen ich feststellte, dass ich ganz andere Dinge für möglich halte, sogar für wahrscheinlich, als andere Menschen. Und das ist natürlich eine sehr interessante, sehr entscheidende und gar nicht triviale Frage: Was hält man so für möglich?
Ich glaube, dass es wichtig ist, sich diese Frage sehr konkret vorzulegen.
Ganz grundsätzlich gilt für mich jener Satz des Holocaustüberlebenden Primo Levi, der so frei von Illusionen, so wahnwitzig präzise und hellsichtig ist wie kaum ein anderer Satz jemals, und dabei sogar noch auf eine Art poetisch: »Es ist geschehen, folglich kann es wieder geschehen.«
Neulich habe ich das einmal so formuliert: Die Frage ist nicht, warum etwas geschehen konnte. Alles kann geschehen, auch das Schlimmste. Die Frage ist, warum etwas zuvor nicht geschehen ist.
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Das heißt aber natürlich nicht, und das ist entscheidend, dass alles immer überall und zu jeder Zeit geschehen kann.
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Um eine Vermutung darüber zu entwickeln, was möglich ist, muss man sich anschauen, was Menschen sagen und was sie tun. Man muss sie beim Wort nehmen und ernst. Was gerade nicht heißt, zu glauben, was sie sagen: Es bedeutet, zu prüfen, ob das, was sie im einen Fall sagen und im anderen, zusammenpasst. Und dann zu prüfen, ob das, was wie tun, und das, was sie sagen, zusammenpasst.
Wenn die extreme Rechte in den USA, wenn J.D. Vance behauptet, er sorge sich um die Meinungsfreiheit in Europa, muss man das ernst nehmen, und dann feststellen, dass die Trump-Regierung ein intensives Programm der Zensur und Säuberung fährt. Gerade erst wurde offenbar in einer Behörde der Zugang zu Nachrichtenseiten wie Wired, der New York Times oder CNN blockiert.
Das ist nun nicht schwer zu erkennen, ziemlich unstrittig. Die entscheidende Frage scheint zu sein: Was fängt man mit dieser Erkenntnis an?
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Immer wieder stelle ich fest, dass andere Menschen das anders handhaben als ich. Dass sie stets auf der Suche sind nach dem wahren Kern in der Lüge, der Vernunft im Bösen, dem Grund dafür, warum etwas nicht so ist, wie es aussieht. Auch Medien handeln so, Politiker*innen, Unternehmen.
Sie suchen dann nach Gründen, warum Trump ein Dealmaker ist, dem man nur etwas anbieten muss, damit man ihm ins Geschäft kommen kann. Sie suchen nach alternativen Erklärungen für zwei Hitlergrüße, die Elon Musk gezeigt hat, völlig offensichtlich und offensichtlich absichtlich. Sie glauben, dass die USA sich nicht gegen Europa wenden, nur weil sie die Beistandspflicht der Nato in Frage stellen. Sie begeben sich auf die Suche nach dem wahren Kern in der Vanceschen Klage über begrenzte Meinungsfreiheit.
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Ich verstehe das, zu gut, und es ist an sich ein nobler Zug: das Gute im Anderen zu sehen. Wohlwollend zu deuten. Nicht das Schlimmste anzunehmen.
Aber man kann eben seit Jahren beobachten, dass das bei Akteuren ins Verderben führt, die böswillig handeln und darauf aus sind, Macht zu erlangen und bestimmte Prinzipien zu zerstören.
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Ich erinnere mich nur zu gut daran, wie Viktor Orbán im Jahr 2010 anfing, Ungarn umzubauen. Es gab damals ein paar gute deutschsprachige Blogs, die darüber berichtet haben. Er begann mit einer Verfassungsreform, die sofort als zutiefst autoritär zu erkennen war. Damals habe ich gerade studiert, und ich fürchte, dass ich die Geduld von Kommiliton*innen und Freund*innen strapaziert habe mit meinem Ungarn-Fimmel.
Was dann folgte, waren Jahre, in denen CDU und CSU Viktor Orbán weiter geduldet haben, teils hofiert, auch, als er eskalierte, gegen die Zivilgesellschaft vorging, antisemitische Verschwörungstheorien verbreitete, Medien kaltstellte. Es dauerte lange, bis sie sich wehrten. Es dauerte lange, bis die EU wirklich scharf gegen Ungarn vorging.
Heute ist Orbán ein Vorbild für so viele Autoritäre, auch in den USA, und ein Hindernis in der EU, wenn es darum geht, sich gegen Russland oder neuerdings die USA zu schützen.
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Ich verstehe, dass es schwerfiel, sich ein stabiles autoritäres System mitten in der EU vorzustellen, und doch musste man es für möglich halten. Es war möglich.
Es fiel schwer, sich vorzustellen, dass Russland in die Ukraine einfallen würde, auch als Putin schon über Wochen Truppen an der Grenze zusammenzog. Ich erinnere mich an Gespräche mit Politiker*innen zu jener Zeit, und besonders an eines, weil mein Gesprächspartner es auch dezidiert für möglich hielt. So klar waren viele nicht. Und doch musste man es damals für möglich halten. Wir wissen heute: Es war möglich.
Es fiel schwer, sich vorzustellen, dass jemand in den USA die Demokratie in Gefahr bringen könnte, erst recht jemand wie Trump, der jahrzehntelang Teil ihrer Öffentlichkeit war. Und doch war schon von 2015 an alles zu erkennen, man musste es für möglich halten. Wir wissen: Es ist möglich.
Es fiel schwer, sich einen Atomkrieg vorzustellen, und doch musste man ihn im Kalten Krieg für möglich halten, dann lange kaum noch, dann in den ersten Monaten des Überfalls auf die Ukraine wieder etwas mehr, seit einer Weile wieder weniger.
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Wenn eine Regierung das eine sagt und das Gegenteil tut, wenn etwas derart offensichtlich, wiederholt und ohne jede Spur von Selbstkritik geschieht, dann lautet meine Standardvermutung: Diese Person will täuschen, sie ist Kritik nicht zugänglich, sie hat also jedes Recht verspielt, wohlwollend interpretiert zu werden. Sie kann es sich wieder erarbeiten, aber das braucht Zeit und Mühe.
Wenn eine Erzählung wie die der Cancel Culture so offensichtlich und systematisch dazu benutzt wird, eine extrem rechte autoritäre Agenda voranzutreiben, dann ist sie offensichtlich ein Propagandawerkzeug und für andere Analyse nicht tauglich.
Wenn Medien systematisch eine Agenda vorantreiben, sind sie nicht mehr journalistisch.
Wenn Politiker*innen extrem rechte Parteien empfehlen und den Hitlergruß zeigen, dann muss man annehmen, dass sie es so meinen. Zumal sich, wie man in der Financial Times nachlesen kann (+), nicht nur die Republikaner über Jahre von einer konservativen in eine extrem rechte Partei verwandelt haben – auch die US-Rechte als Milieu hat sich so entwickelt.
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Was muss man also für möglich halten?
Man muss für möglich, sogar für höchstwahrscheinlich halten, dass Trump und seine Leute versuchen werden, sich dauerhaft an der Macht zu halten und die US-Demokratie nachhaltig zu zerstören.
Man muss für möglich, sogar für wahrscheinlich halten, dass das liberale demokratische Europa für MAGA ein systemischer Gegner ist, eine Bedrohung für die eigene autoritäre Machtsicherung, und dass genau deshalb die Ukraine derzeit systematisch geschwächt wird. Es ist jedenfalls die plausiblere Erklärung als die, dass es Trump wirklich um Frieden und den Friedensnobelpreis geht.
Man muss es für möglich halten, wenn auch aktuell nicht für wahrscheinlich, dass Trump in Grönland einmarschiert.
Man muss es für möglich halten, dass sich die USA, Russland und China gegenseitig Einflusssphären zugestehen, in denen sie jeweils mit Gewalt erobern können.
Man muss es für möglich halten, dass US-Truppen auf deutschem Boden von der Schutzmacht zur Bedrohung werden könnten. Nicht, dass Panzer den Bundestag umstellen, aber doch, dass die Tatsache, dass da Männer mit Waffen im Land sind, zum politischen Druckmittel wird. Natürlich kann die Politik das derzeit nicht aussprechen. Aber muss man es für möglich halten? Natürlich muss man das.
Man muss, wenn man sich die Sprache ansieht, fast alles für möglich halten. Kann sein, dass es eine Lust an der Provokation ist, an der Grenzüberschreitung und dem Grusel, den das erzeugt. Sicher ist die MAGA-Koalition divers, es finden sich alle möglichen Schattierungen von Braun. Höchstwahrscheinlich hat Trump selbst keine übermäßig klaren Ideen von Rassenhierarchien.
Aber wenn es fast nichts gibt, was nicht gesagt werden kann, wenn selbst Entmenschlichung schon selbstverständlich ist, dann kann man nichts ausschließen. Nichts deutet konkret darauf hin, dass Trump oder sein Umfeld Säuberungen durch Massenmord planen, und wahrscheinlich hätten sie dafür nicht die Machtmittel derzeit. Aber wenn die Radikalsten der Radikalen sich noch eine Weile so in den Wahn reden, muss man es für möglich halten.
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Ich schreibe das nicht für den Effekt, nicht um zu schocken, nicht um zu provozieren und schon gar nicht leichtfertig oder überzeichnend. Sondern ganz nüchtern, so präzise wie möglich. Niemand hat etwas von Übertreibung, von Alarmismus oder davon, anderen ohne Grund Schlechtes zu unterstellen. Aber es auch niemand etwas davon, sich blind zu machen für das, was möglich ist.
Es ist jetzt eben so, dass die Bedrohung groß ist und ernst, und dass wir uns Naivität nicht mehr leisten können.
Das, was möglich ist, muss allerdings natürlich nicht geschehen. Die Dinge können anders laufen. Vielleicht endet Trumps Spuk wirklich in vier Jahren minus sieben Wochen. Vielleicht schreckt er vor bestimmten Risiken zurück. Vielleicht wird er unpopulärer und das verschiebt die Dynamiken in seiner Koalition und im Land. Vielleicht sortiert und stabilisiert sich Europa, vielleicht findet Frankreich als europäische Kraft zu seinem demokratischen Selbst. Vielleicht scheut Putin die offene Auseinandersetzung mit der EU. Vielleicht hat China ein Interesse an einer Rest-Weltordnung, die nicht offen konfrontativ ist.
Nichts ist entschieden. Aber man muss, so ist das leider, mittlerweile das Schlimmste für möglich halten.
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Im besten Fall bleibt es bei einer kurzen Phase der Instabilität, die irgendwann in Zukunft, wenn Menschen von ihrem Leben erzählen, nur eine Episode in manchen Geschichten ist, kein Trauma.
Man muss das Schlimmste für möglich halten, aber man muss sich dabei unbedingt den Blick für das Schöne bewahren. In großen Teilen Deutschlands bleibt es am Wochenende warm und frühlingshaft, die Luft riecht nach etwas, noch nicht wirklich bestimmbar, aber auch nicht mehr nach nichts. Sie schneidet nicht. Ich habe nun endlich auch meine Amselwende erlebt und wurde neulich sogar auf dem Rad durch die Stadt von Amselgesang begleitet. Heute habe ich an den Weiden schon Blätter gesehen.
Jeden Tag entfaltet sich jetzt das Leben ein bisschen mehr. Ich wünsche deshalb entknitternde Tage.
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Wenn Sie Französisch verstehen, kann ich »D’ici, d’ailleurs« sehr empfehlen. Die Musik ist meist gut, die Gespräche sind wahnsinnig zugewandt, empathisch, menschenfreundlich. Wenn nicht, oder wenn Sie einfach Bedarf nach ordentlich Pathos haben, dann habe ich heute zufällig einen passenden Song entdeckt. Er heißt programmatisch »l’exil et l’asile« (Exil und Asyl), ist von Barbara Pravi, gerade erst erschienen und sozusagen der Geist der Interviews in knapp drei Minuten Chanson.
Herzlich, cordialement
Jonas Schaible
Brutale Morgenlektüre. Muss jetzt erstmal raus in den Frühling. Danke trotzdem.
Danke - im französischen Geiste des erschauernden, aber auch wieder seelenvollen, trostvollen Textes: „Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“
Vielleicht sieht man das in der Not entstehende Wesentliche noch nicht klar, aber darauf zu hoffen: Wichtig! Wie das Buch von St. Exupéry und der Klang der Amseln: Wie-der-Einübung der Hoffnung.
Und ein wenig (wie) Hölderlin wagen … 20.3.1770 🎂!