Vance zeigt Europa den Mittelfinger
Der oberste Cancel-Culture-Warrior erklärt Cancel Culture zur größten Bedrohung für Europa. Nun wird sich zeigen, wem es wirklich um Meinungsfreiheit ging | Wie spricht man über Terror und Gewalt?
Am Freitag hat der US-Vizepräsident die europäische Demokratie zum Gegner erklärt. Nicht wortwörtlich, aber nah genug dran an wortwörtlich, um einem den Atem zu rauben. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz hat J.D. Vance gesagt:
»The threat that I worry the most about vis-a-vis Europe is not Russia, it’s not China, it’s not any other external actor.
And what I worry about is the threat from within, the retreat of Europe from some of its most fundamental values, values shared with the United States of America.«
Er zählte auf, wen er meint: EU-Kommissare, die sich wegen mutmaßlich russischen Einflusses auf rumänische Wahlen sorgen. Oder die überlegen, gegen soziale Medien vorzugehen, auf denen Hass verbreitet wird. Schwedische Richter, die darauf hinweisen, dass Meinungsfreiheit nicht schrankenlos gilt.
Dann rief er noch explizit dazu auf, Brandmauern einzureißen. Also: die AfD und andere extrem rechte Parteien an die Macht zu lassen.
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Europas Demokratie also sei die größte Bedrohung für Europa, sagte also Vance. Es ist bekannt, wie die USA mit Bedrohungen umgehen. Bedrohung bedeutet Gegnerschaft.
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Der Bruch, den er an diesem Tag vollzog, war lange angekündigt, absehbar, ins Werk gesetzt, aber er ist nun mit einem Datum versehen. Der Bruch mit der Ordnung der Welt nach dem Zweiten Weltkrieg.
Auf wenig konnte man sich über diese Jahrzehnte verlassen, aber darauf, dass die Vereinigten Staaten und Europa zusammenstanden. Sie tun es nicht mehr. Alle wussten es, aber nun ist es ausgesprochen. Sie waren die engsten Partner. Nun sind sie es nicht mehr.
Das amerikanische Jahrhundert ist vorbei, und zwar nicht, weil die USA diese Ordnung nicht mehr aufrechterhalten können. Sondern, weil sie es nicht mehr wollen.
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Auch umgekehrt ist der Eingangssatz wahr: Aus europäischer Sicht hat Vance die USA zum Gegner erklärt. Man wird noch eine Weile so tun, als sei es anders, und das ist politisch klug. Unklug wäre es, daran zu glauben.
Zum Gegner erklärt, das ist noch einmal etwas anderes, als es die Unterwerfungsversuche sind, mit denen Trump vor allem seine Alliierten angeht, weil die mehr zu verlieren haben und deshalb weniger Widerstand leisten. Das war hier neulich Thema.
Die USA sind die USA, die mächtigste Militärmacht, die größte Volkswirtschaft, noch jedenfalls. Sie können die anderen herumschubsen. Sie können das, wenn sie wollen und bereit sind, den Preis zu zahlen, auch mit Europa machen. Dazu müssen sie nicht aktiv Systemgegner fördern.
Wenn Vance nun noch weitergeht und offen dazu aufruft, die Brandmauer nach extrem rechts einzureißen, so wie Elon Musk offensiv für die AfD oder Reform in UK wirbt, dann fallen mir dazu nur zwei mögliche Erklärungen.
Die erste wäre: Sie sind derartige Ideologen, dass sie das einfach gern sähen, weil man es immer gern sieht, wenn anderswo die etwas zu sagen haben, die das vertreten, was man für richtig hält. Wirklich überzeugend finde ich das nicht.
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Die zweite Erklärung wäre: Sie leitet dasselbe Kalkül, das auch Wladimir Putin seit Jahren leitet. Seitdem er nach den Farbrevolutionen in der Ukraine, Georgien, Kirgisistan systematisch begann, die demokratische Zivilgesellschaft auch aus dem Ausland zu zerschlagen, Gegen-Institutionen aufzubauen und schließlich massiv Zersetzung liberaler Demokratien durch Propaganda und Agententätigkeit voranzutreiben.
Aus der Sicht eines autoritären Machthabers ist die Analyse vollkommen korrekt: Funktionierende Demokratien, kritischer Journalismus, liberale Nichtregierungsorganisationen sind eine Gefahr. Nicht für, in Putins Fall, Russland als Staat, das nun gar nicht. Aber für das Regime. Für den Machthaber.
Denn das, was sie sind, voraussetzen und anstreben, würde zu seinem Machtverlust führen. Und Machtverlust in einem solchen System bedeutet meistens Haft, Exil oder Tod.
Aus Putins Sicht sind als NGOs wirklich feindliche Agenten. Aus seiner Sicht sind stabile, freiheitliche Demokratien in der Nachbarschaft eine Bedrohung. Seine Brandmauer muss dort verlaufen, wo die Flamme der Freiheit einen Brand auslösen könnte.
Und er begnügte sich nicht damit. Er versucht seit fast zwei Jahrzehnten, die Flamme auszutreten.
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Ironischerweise, oder passenderweise, war es seine Rede Putins auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2007, die für alle sichtbar diese neue Phase einleitete.
Nun ist es Vances Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz, die eine neue Phase einläutet und den Schluss nahelegt, dass womöglich auch Trump und sein Umfeld die gleiche Überzeugung leitet: Ein demokratisches Europa ist eine Gefahr und muss verschwinden.
Wenn es so wäre, dann müsste man davon ausgehen, dass der Plan ist, in den USA dauerhaft ein offen autoritäres Regime zu etablieren. Ich fürchte, es ist so, und ich fürchte, davon muss man ausgehen.
Trump hat nun in einem Tweet einen Satz verbreitet, der Napoleon Bonaparte zugeschrieben wird: »He who saves his country does not violate any law.«
Er, der sein Land rettet, kann niemals ein Gesetz brechen.
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Das erinnert sehr an Carl Schmitt, den Juristen, politischen Philosophen und Liebesdiener des Nationalsozialismus, der 1934 über Hitler schrieb:
»In Wahrheit war die Tat des Führers echte Gerichtsbarkeit. Sie untersteht nicht der Justiz, sondern war selbst höchste Justiz. Es war nicht die Aktion eines republikanischen Diktators, der in einem rechtsleeren Raum, während das Gesetz für einen Augenblick die Augen schließt, vollzogene Tatsachen schafft (...).
Das Richtertum des Führers entspringt derselben Rechtsquelle, der alles Recht jedes Volkes entspringt. In der höchsten Not bewährt sich das höchste Recht und erscheint der höchste Grad richterlich rächender Verwirklichung dieses Rechts. Alles Recht stammt aus dem Lebensrecht des Volkes.«
Der Artikel trägt die Überschrift: »Der Führer schützt das Recht.«
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Was uns wieder zu J.D. Vance führt, der in einem Interview (+) mit der New York Times im vergangenen Sommer Folgendes gesagt hat:
»The thing that I kept thinking about liberalism in 2019 and 2020 is that these guys have all read Carl Schmitt — there’s no law, there’s just power. And the goal here is to get back in power. Seemed true in the Kavanaugh thing, seemed true in the Black Lives Matter moment, where. … I’m thinking about how to put this.
I think most of us who are generally socially aware have a voice in our head that says: “You shouldn’t say this; you should try to say that. Maybe you believe this, but you should try to put it a little bit more diplomatically.” And in 2020 that voice had become absolutely tyrannical. There was nothing you were allowed to say. Offending someone was an act of violence. I think a lot of us just said: “We’re done with this. We’re not playing this game, and we refuse to be policed in what we think and what we say.«
Die Liberalen also seien Schmittianer, ruchlos darauf aus, die Macht zu erlangen. Wie alles, was Leute wie Vance anderen vorwerfen, war auch das offensichtlich ein Geständnis.
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In München stand er da als Vertreter einer Regierung, die Gesetz um Gesetz bricht. Die nun die wichtigste Nachrichtenagentur der Welt ausschließt, weil die sich weigert, den Golf von Mexiko ab jetzt »Golf von Amerika« zu nennen. Die Zensurlisten mit so gefährlichen Wörtern (+) wie »Inklusion« oder, Achtung: »Frauen«, erstellt, die eine genauere Prüfung der Behörden auslösen. Die Drohung ist klar: Förderung wird gekürzt. Die den Hinweis auf Transpersonen von der Website für das Stonewall Monument tilgen lässt (+) – das Stonewall Inn, eine Bar auf der Christopher Street in New York City, wurde nach einer Razzia zum Ausgangspunkt und Symbol für eine weltweite queere Bewegung.
Da stand ausgerechnet er also und behauptete: In Europa sei die Meinungsfreiheit in Gefahr. Aberwitz. Eine Lüge, für jeden erkennbar. Aber eingeübt.
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Was Vance da vortrug und was er auch in seinem Interview über den angeblichen Einfluss Carl Schmitts auf die Liberalen ansprach, war nichts anderes als die sehr beliebte Behauptung, die Cancel Culture habe in liberalen Gesellschaften Einzug gehalten und gefährde nun die Freiheit.
Man habe nichts mehr sagen dürfen, nichts mehr. Tyrannisch sei es gewesen, sagte er damals. Es gefährde Europa mehr als russische Raketen, sagte er jetzt.
Dass es so kommt, kann natürlich niemanden überraschen, der sehen wollte. Ich habe über die Rede von der »Identitätspolitik« (+) und über die angebliche Cancel Culture einen Essay (+) geschrieben, andere, wie Adrian Daub, ganze Bücher. Dass die extreme Rechte diese Vorwürfe als Mittel benutzt, Macht zu gewinnen, daraus machte sie keinen besonderen Hehl.
Es ging darum, sich zum Opfer zu stilisieren, sich gegen Vorwürfe zu immunisieren und so Möglichkeiten zu bekommen, selbst aggressiv Freiheiten einzuschränken.
Viele von denen, die diese Erzählung weitergetragen haben, dürften das gewusst haben. Ich mache mir da wenig Illusionen. Es gibt Scharnierpolitiker und Scharnierpublizisten, die wussten, was sie tun.
Es gab aber auch viele, sehr viele Wohlmeinende, die die Geschichte weitererzählt haben, aufgegriffen, weiterentwickelt, gedreht, gewendet, beäugt und für plausible befunden, mit ein paar Einschränkungen da oder Ergänzungen dort.
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Es geht seit Jahren so, in der ersten Amtszeit Trumps, im Florida unter Ron DeSantis. Die Rede von J.D. Vance aber erzwingt aus meiner Sicht eine echte Selbstbefragung. Sie muss ein Innehalten erzeugen.
Sie ist der Moment für alle, die in den vergangenen Jahren aufgewühlt von Berichten über die tyrannische Cancel Culture auf dem US-Campus sich mit dieser Gegenwartsbeschreibung gemein gemacht und sie fortgeschrieben haben, darüber nachzudenken, was da passiert ist. Darüber zu sprechen und zu schreiben.
Dabei geht es nicht darum, den Gang nach Canossa anzutreten, sondern das Ganze konstruktiv zu wenden und besser zu verstehen: Wie konnte es passieren, dass Liberale überall der Geschichte der autoritären extremen Rechten derart verfallen sind, dass sie freiwillig mitgeholfen haben, ihnen Hindernisse aus dem Weg zu räumen?
Was kann man daraus lernen? Wie vermeidet man das künftig? Wie trägt man den Bedenken Rechnung, die man hatte und vielleicht immer noch hat und manchmal mit guten Gründen, ohne sich zum Instrument der Propagandisten zu machen? Was heißt das für andere Erzählungen, die ähnlich funktionieren?
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Es ist jetzt wirklich an der Zeit, zumal J.D. Vance, das ist die letzte Ironie, selbst ein Produkt dieser Debatten ist. Sein Buch »Hillbilly Elegy«, das ihn berühmt machte, wurde nach Trumps erster Wahl gefeiert als angeblichen Einblick in die Seele des ländlichen, harten Amerikas abseits der liberalen Metropolen.
Vance wurde nach oben getrieben als Trump-Wähler-Deuter in einem Moment, in dem alle Erklärungen populär wurden, die die Schuld in der Abgehobenheit und angeblichen Verachtung der liberalen Eliten für das einfache Volk suchten.
Von da war es dann nicht einmal mehr ein echter Schritt zur Behauptung, die Fixierung aufs Gendern und Trans-Rechte habe Trump groß werden lassen.
Jetzt macht die extreme Rechte Trump mit dieser Geschichte noch viel größer, die US-Demokratie kaputt und Europa zum Gegner.
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Die nächsten Wochen werden zeigen, wem es wirklich um Meinungsfreiheit ging, um Wissenschaftsfreiheit, um eine möglichst liberale Gesellschaft – und wem nicht.
Oder auch nur, wer wirklich ein Contrarian ist, der in Widerstand gehen muss gegen eine hegemoniale Kultur, und wer in Wahrheit schlicht ein Ideologe ist, der sich selbst oder anderen den Freigeist nur vorgespielt hat.
In München hat es wieder einen Anschlag gegeben. Ich habe neulich schon einmal darüber geschrieben, dass sich die Routinen im Umgang mit solchen Attentaten verändert haben. Damit habe ich jetzt ausführlicher beschäftigt, in einem Essay darüber, wie man ausbrechen kann aus der Logik des Terrors.
Denn ausbrechen müssen wir, wenn wir uns nicht selbst verlieren wollen. Ein paar Auszüge:
»Was kann man sagen, das nicht leer klingt, zu oft gehört und vor allem: hilflos?
Man kann nichts sagen, das nicht leer klingt, zu oft gehört und vor allem: hilflos.
Aber man muss etwas sagen, und vielleicht beginnt man bei denen, die schon einmal Worte gefunden haben.
(...)
Ardern sprach nicht über Stärke und Vergeltung, sondern über Verletzlichkeit und Güte. Auch über die Fähigkeit der Menschen zu Vernichtung, aber mehr über das Sehnen nach Frieden.
Obama sprach nicht davon, wie der achtjährige Martin starb, sondern wie er gelebt hat. Nicht über die Gewalt, sondern über den Verlust.
Stoltenberg sprach nicht über Anders Behring Breivik, sondern über Monica. Nicht über den Attentäter, sondern über die Opfer.
Sie alle sprachen von Einigkeit.
(...)
Sie boten keine Absolution für Rache oder Furcht, sie machten es denen, zu denen sie sprachen, nicht leicht. Sie nahmen sie ernst als Menschen, die entscheiden können, wie sie reagieren. »Gott hat uns nicht nur Furcht und Verzagtheit gegeben, sondern auch Kraft und Liebe und Selbstdisziplin«, so formulierte Barack Obama die Bibelworte aus dem zweiten Paulus-Brief an Timotheus. Selbstdisziplin, es ist eine große Forderung in einem solchen Moment der Trauer, der Angst, der Wut.
Es steckt eine tiefe Einsicht darin, nämlich die, dass es genau diese Disziplin braucht. Weil die erste Reaktion auf einen Angriff nicht ist, die Türen und Herzen zu öffnen, sondern sie zu schließen und den Riegel vorzuschieben. (...)
Obama, Ardern, Stoltenberg, sie alle machten es den Menschen nicht leicht, aber sie boten auch etwas an. (...)
Man kann ihre Worte leer finden, hilflos. Sogar kitschig. Das sind sie. Man hat sie ganz sicher oft gehört. Inzwischen scheinen sie ein wenig in Verruf geraten zu sein.
Denn zuletzt hat man häufig auch andere Worte gehört. Worte wie diese: Es reicht. Es reicht jetzt wirklich. Es reicht jetzt endgültig. Was kommt nach endgültig?
Auch Sätze wie diese sind hilflos. Sie müssen es sein. Es gibt keinen Umgang mit Terrortaten, der nicht hilflos ist, weil nun einmal hilflos ist, wer aus heiterem Himmel angegriffen wird und sich nicht wehren kann.
Die Frage ist: Welche Worte weisen einer Gesellschaft eher den Ausweg aus der unverschuldeten Hilflosigkeit?
Eine selbstdisziplinierte Gesellschaft, die sagt: Wir lassen uns nicht erschüttern, wir werden erst recht leben, wie wir leben wollen, die trennt die Gewalt von der Gewalt zuvor. Damit macht sie es möglich, anzufangen. Sie macht sich frei.
Eine Gesellschaft, die sagt: Es reicht jetzt endgültig, die macht sich abhängig von der Logik des Terrors. Sie fängt nicht neu an, sondern verknüpft Gewaltakt mit Gewaltakt mit Gewaltakt. Sie sieht überall Zusammenhänge, reiht unpolitische Gewalt an politischen Terror. Jeder neue Fall wird zum Beleg, dass es mehr Entschlossenheit braucht, mehr Grimm, mehr Kompromisslosigkeit, letztlich mehr Radikalität.«
Hier der Link (+) für alle mit Spiegel-Abo. Hier und hier Geschenklinks, die je zehnmal geöffnet werden können. Es geht also nach Tempo.
In einer Woche, am 23. Februar, ist Bundestagswahl. Dazu gibt es derzeit sehr viel zu lesen. Ich will es bei kurzen Notizen belassen.
Vergangene Woche habe ich zusammen mit Kolleg*innen in der Spiegel-Titelgeschichte die Frage gestellt, ob Deutschland nach der Wahl noch regierbar ist (+). Ob sich also eine stabile Koalition finden wird, mit einer eigenen sicheren Mehrheit. Wahrscheinlich: ja. Aber sicher ist es eben nicht mehr.
Die Union hat so klare rote Linien gezogen in der Migrationspolitik, sie hat mit dem Tabubruch unter der Reichstagskuppel SPD und Grüne so aufgewühlt, dass es sein kann, dass zwar genügend Parteien miteinander wollen, aber nicht mehr können.
Nicht können, weil sie Zugeständnisse machen müssten, die sie als Gesichtsverlust empfinden, als Zerstörung der eigenen Glaubwürdigkeit, als politisch zerstörerisch oder als nicht vermittelbar für die eigene Basis.
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Für die Koalitionsbildung bedeutsam wird auch, wer eigentlich einzieht. Je mehr Parteien, desto komplizierter wird es. Wenn es sowohl Linke als auch FDP als auch BSW schaffen, dann könnte es sein, dass weder Schwarz-Rot noch Schwarz-Grün eine Mehrheit haben. Dann würde es sehr, sehr heikel.
Zumindest bei der Linken hat sich einiges gedreht. Sie ist gerade die einzige größere Partei, die einen echten stabilen Aufwärtstrend zeigt, steht im Mittel jetzt bei 6 Prozent, kann auf mindestens drei Direktmandate hoffen. Worauf ich in den Tagen der Wahl schauen werde: Wie die Linke unter jungen Wähler*innen abschneidet.
Die Linke selbst behauptet, und ich kann nicht einschätzen, wie valide das ist, die Bundestagsrede ihrer Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek zum Tabubruch sei auf TikTok rund 30 Millionen Mal gesehen worden. Reichinnek ist sowieso eine der erfolgreichsten Politiker*innen auf TikTok, aber das wäre noch einmal ein anderes Niveau.
Sollte es so sein, dass die Linke gerade unter den ganz Jungen extrem zulegt, wäre das zumindest ein Indiz, dass TikTok eine noch größere Rolle für politische Meinungsbildung spielt, als man meint.
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Schließlich habe ich über die Klimapolitik der Union (+) geschrieben. Kurzzusammenfassung: Vieles ist sehr vage, einen radikalen Bruch muss man nicht erwarten, etwas weniger Ambition schon. Und das Bekenntnis zum Ziel, 2045 klimaneutral zu werden, wird schwächer. Die Union will es, anders als die FDP, nicht offen nach hinten schieben. Aber die Entschiedenheit, mit der die Partei es mal bejaht hat, ist auch weg.
Man kann das ganz leicht illustrieren mit den Programmen.
Wahlprogramm 2021: »Wir setzen verbindlich die Treibhausgasneutralität Deutschlands bis 2045 um.«
Grundsatzprogramm 2024: »Die im Klimaschutzgesetz verbindlich verankerte Klimaneutralität bis 2045 haben wir dabei fest im Blick.«
Wahlprogramm 2025: »Die Klimaneutralität bis 2045 haben wir fest im Blick.«
Schritt für Schritt verschwindet die Verbindlichkeit. Aber immerhin: Das Ziel ist noch da.
Am nächsten Sonntag ist also Wahl. Wenn Sie im Ausland leben, wird es womöglich knapp mit der Briefwahl, es ist kaum zu glauben. Wenn Sie aber die Möglichkeit haben: Gehen Sie doch bitte zur Wahl und wählen Sie demokratisch.
Für mich heißt die nahende Bundestagswahl: volle Tage, volle Wochen. Es kann sehr gut sein, dass es keine neue Newsletter-Ausgabe vor der Wahl mehr gibt.
Ewig wird das allerdings nicht so bleiben. Die Weltlage ist derzeit so, dass man gar nicht so viel schreiben kann, wie man schreiben möchte.
Ich freue mich, dass Sie mitlesen.
Herzlich
Jonas Schaible
Lieber Herr Schaible, nein, Vance hat nicht gesagt, Europas Demokratie sei die grösste Gefahr. Mit keinem Wort hat er das gesagt (ich habe mir die ganze Rede angehört). Und wenn Sie glauben, das herausgehört zu haben, dann irren Sie nochmals. Er zeigt auch nicht mit dem Mittelfinger auf Europa. Solches ist viel mehr Ihr (undemokratischer) reisserischer Journalismus.
Was Vance viel eher meinte, ganz im Sinne Lincolns berühmter Rede, dass die Demokratie von innen gefährdet ist, wenn die Menschen sich nicht mehr an deren unabdingbaren Gepflogenheiten halten. Dazu gehören u.a. Besonnenheit, Redlichkeit, Vernunft.
Ich vermisse bei Ihnen die besonnene, differenzierte Würdigung der Rede. Ihr Argument wäre viel kräftiger, wenn sie auch die prüfenswerten Punkte hervorgehoben hätten. Erst dann hätten Sie die Widersprüche deutlich machen können, von denen es viele gab (election denial z.B).
Wenn Sie nun aber als Fazit hingehen und auf Heidi R. als Hoffnungsträgerin verweisen, dann sind wir dort, wovor uns Lincoln (1838) gewarnt hatte: Der Schreihals zersetzt die Demokratie, weil er Besonnenheit nicht dulden kann.
Aber eben, zu viele Deutsche stehen auf Gepolter und Gefloskel; redliche und besonnene Auseinandersetzung ist ihnen zu mühsam.
Demokratie duldet aber keine Abkürzungen! Liebe Deutsche, redet doch endlich miteinander! Siehe dazu auch meine Posts. Danke!
"liberals" bedeutet in den USA die Linken (von sozialdemokratisch, sozialliberal bis zur Linken).