Hello Darkness, my old friend, wir haben dir Unrecht getan
Trump und Musk nehmen für alle sichtbar den Staat auseinander. Sie haben in einer chaotischen Welt mehr zu gewinnen.
Ich würde lügen, würde ich sagen: Ich verfolge bis ins Detail, was in den USA gerade passiert. Allerdings befürchte ich, dass das nicht nur an mir liegt, sondern auch an der Sache. Donald Trump und Elon Musk und ihre Mittäter brechen in so großer Zahl und Geschwindigkeit Regeln, dass es schwer ist, zu folgen.
Noch schwerer ist es, den Überblick zu behalten. Am schwersten ist es vermutlich, Widerstand zu organisieren. Die Demokraten und alle, denen etwas an der Republik gelegen ist, brauchen Zeit.
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Ich habe, wieder mal bei Ezra Klein im Podcast, eine Beschreibung gehört, die ich interessant fand. So ähnlich sei es immer, wenn eine neue Regierung ins Amt komme, so beschrieb es der konservative Publizist Yuval Levin. Sie hat sich Maßnahmen für die ersten Wochen vorgenommen. Sie kommt vorbereitet, der Rest ist unvorbereitet.
Für eine Weile sehe es, sagt Levin, immer so aus, als habe die neue Regierung alles unter völliger Kontrolle. Dann habe sich die Opposition organisiert, dann werfe die Welt der neuen Administration Probleme vor die Füße, die Aufmerksamkeit bindet. Alles kommt zur Ruhe.
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Diese Perspektive finde ich hilfreich, weil sie es erlaubt, nicht nur das Außergewöhnliche des Moment zu sehen, sondern auch das Gewöhnliche.
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Man wird ja leicht überwältigt von dem, was man da sieht. Kein Wunder, denn diese Überwältigung ist natürlich eine Machttechnik. Musk und seine offenbar meist sehr jungen, unerfahrenen, dafür umso loyaleren Gefolgsleute marschieren in eine Behörde ein, verlangen Zugang, schaffen Fakten.
Wer dagegen vorgehen will, muss sich erst einmal sortieren und überdies herausfinden, was von dem, was da so illegal aussieht, eigentlich illegal ist und auf welcher Grundlage. Wenn es darum geht, wie eine Behörde in einzelnen Teilen und Situationen funktioniert, zum Beispiel, ist man schnell bei Spezialwissen, das erst einmal mobilisiert werden muss – und dann den Weg zu denen finden, die damit vor Gericht ziehen.
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Das Entsetzen wird dadurch genährt, dass das alles für jeden erkennbar geschieht. Johannes Schneider hat Recht, wenn er das alles als offensichtlich beschreibt. Niemand gibt sich Mühe, zu verbergen, was geschieht. Zu Beginn von Trumps erster Amtszeit änderte die Washington Post ihr Motto in Democracy dies in darkness. Demokratie stirbt im Dunklen.
Daran ist nicht nur ironisch, dass, wie neulich erwähnt, sich der Besitzer Jeff Bezos jetzt mit fesselndem Geschichtenerzählen für das ganze Amerika an Trump ranwanzen will. Es ist auch offensichtlich falsch. Demokratie stirbt im Hellen. Hello Darkness, my old friend, wir haben dir Unrecht getan.
Das Offensichtliche, das Ungenierte macht das Entsetzen nur größer. Vor vielen Jahren, 2016, habe ich einmal in einem Text geschrieben:
»Es ist gerade nicht so, dass die Welt immer komplexer wird. Ja, sie wird vernetzter, ja, da geschieht viel Neues. Aber politisch ist womöglich sogar das Gegenteil der Fall: Gerade weil so viele Entwicklungen moralisch so eindeutig sind, verstören sie – wir fühlen uns nämlich genötigt, uns dazu zu verhalten.
(...)
Es ist genau die Eindeutigkeit, die uns so verstört. In den Worten der Post-Brexit-ZEIT: Was, wenn die Falschen gewinnen?
Warum zum Teufel gewinnen die Falschen? Und wir müssen doch etwas tun! Nur: was?«
So ist es jetzt auch. Nichts ist verborgen, alles ist unverstellt. Und trotzdem kommen sie damit durch. Womöglich jedenfalls.
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Zu wissen, dass sich die ersten Tage einer neuen Regierung immer etwas überwältigend anfühlen, hilft dabei, den eigenen Schock zu zähmen. Nur, weil es gerade so ausgeht, als käme Trump damit durch, muss das nicht zwingend bedeuten, dass er damit durchkommt. Widerstand ist kein Moment, sondern ein Prozess.
Wenn man sich das nicht bewusst macht, kann das leicht zu Ohnmachtsgefühlen führen und Ohnmachtsgefühle machen leicht handlungsunfähig. So wird das Entsetzen darüber, dass Leute wie Trump und Musk damit durchkommen, zur selbst erfüllenden Prophezeiung.
Die erste Bedingung für erfolgreichen Widerstand ist also, die eigene Niederlage nicht als unausweichlich hinzunehmen. Wer aufgibt, verliert sicher.
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Damit sind wir allerdings nochmal beim Ungewöhnlichen dieser Frühphase der hoffentlich letzten Trump-Präsidentschaft: Man muss glauben, dass es die letzte bleiben wird, um der selbst erfüllenden Prophezeiung zu entgehen. Man muss sich aber unbedingt sorgen, dass es nicht die letzte Amtszeit bleiben wird.
Man muss sich auch sorgen, dass von den USA und der Weltordnung, die sie geprägt haben, nicht mehr viel übrig sein wird.
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Was da gerade passiert ist, was man im Englischen Power Grab nennt, was sich wiederum vermutlich am besten mit Machtergreifung übersetzen lässt, was im Deutschen ein bisschen sehr spezifisch klingt. Jemand versucht, sich Macht zu sichern, die ihm nicht zusteht.
Genau das passiert, wenn Elon Musks Männer von DOGE da machen. DOGE, sein Department of Government Efficiency, ist kein Ministerium, was vom Kongress abgesegnet werden müsste, und es ist unklar, ob er damit durchkäme. Anders als behauptet, ist seine Mehrheit im Kongress nicht historisch groß, sondern, jedenfalls im Repräsentantenhaus, historisch klein.
Trotzdem führt sich DOGE auf wie die wichtigste Behörde in den USA. Männer rücken mit viel Getue in Behörden ein, verlangen Zugang und bekommen ihn. So hat Musk offenbar Zugriff auf Personaldaten im großen Stil und auch auf die Möglichkeiten des Finanzministeriums, Geld auszuzahlen.
Zielsicher besetzen sie jene Knotenpunkte, an denen sie besonders viel reale Macht haben, ohne formale Macht besitzen zu müssen. So, wie Putschisten erst einmal den Präsidentenpalast, Polizeistationen, Kasernen und Fernsehstationen besetzen.
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Nichts davon ist in irgendeiner Form gewöhnlich, normal. Jener Text von vor sieben Jahren, aus dem oben zitiert habe, trägt die Überschrift: Die Welt ist nicht aus den Fugen, warum kommt es uns trotzdem so vor?
Damals war es üblich geworden, die Welt als aus den Fugen zu beschreiben und ich habe versucht, darzulegen, warum ich das irreführend finde. Aber auch, warum ich verstehe, dass der Eindruck aufkommt.
Den Text habe ich mit einer abstrakten Beschreibung des vergangenen Jahrzehnts begonnen, deren Witz war, dass sie klang wie eine Beschreibung der Zehnerjahre, die aber eine Beschreibung der Neunzigerjahre war.
Man muss das für keinen besonders gelungenen Kniff halten, aber ich finde die Gegenprobe heute ganz hilfreich:
Eine globale Pandemie, die Millionen getötet und Gesellschaften lahmgelegt hat
Eine Großmacht, die im großen Stil für einen Eroberungs- und Vernichtungskrieg einen Nachbar überfällt – nicht darauf aus, ein kleines Gebiet zu besetzen, sondern eine Nation zu vernichten
Eine vor allen Augen ablaufende autoritäre Machtübernahme in den USA
Nichts davon hat eine Entsprechung in den vergangenen Jahrzehnten.
Deshalb ist das Gefühl von schwindender Weltgewissheit, vom Hineingeworfensein in existenzielle Unsicherheit und Ohnmacht, jetzt auch noch so viel verbreiteter als damals und so wirkmächtig.
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Im Text, der auf die erschütterte Weltgewissheit folgte, über die Sehnsucht nach dem großen Knall, habe ich die »die doppelte Pandemierfahrung von Ohnmacht und einem Staat, der allmächtig hineinregiert hat in die Leben und den Lauf der Welt wie sehr lange nicht« beschrieben. Die Dialektik der Pandemie, die die Sehnsucht nährt, mit dem Staat aufzuräumen, wie er war.
Was ich jetzt gelernt habe, passt dazu: Offensichtlich gilt unter Musk-Beobachtern als gegeben, dass es auch die Pandemierfahrung war, die zu seiner Radikalisierung beigetragen hat: Der Staat machte seine Fabriken dicht. Er kostete ihn nicht nur Geld, er zwang ihn auch in die Untätigkeit – und er bewies seine Macht.
Nun rückt Musk aus, diese Macht zu brechen.
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Die Trump-Regierung, Musks Leute, sie drohen mit der Schließung des Bildungsministeriums. Sie treten aus dem Pariser Klimaabkommen aus. Sie bieten MItarbeitern an, gegen Lohnfortzahlung für ein paar Monate, ihren Job aufzugeben. Sie haben alle Auszahlungen von USAID gestoppt, der Entwicklungsagentur, die weltweit Geld verteilt. Die USA sind mit großem Abstand der größte Geber der Entwicklungshilfe.
Die Folgen sind gravierend und es wird noch lange, sehr lange dauern, bis sie ganz klar werden.
Dieser eindrückliche Text schildert ein Beispiel: Ein Forschungsprojekt zur Entwicklung eines neuen, wirksameren Malaria-Impfstoffs, das sofort beendet werden muss. Menschen haben sich zur Verfügung gestellt dafür, sie hätten engmaschig überwacht werden sollen. Nun werden sie im Stich gelassen.
Projekte dieser Art gibt es ohne Ende. Menschen werden schlimmstenfalls in Gefahr gebracht, Erwartungen enttäuscht. Das Welternähungsprogramm wird Probleme bekommen, Konflikte können sich angeheizt werden. Gewiss verlieren die USA viel Soft Power.
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Strukturen zerbrechen, Institutionen bröckeln, Ordnung wird Unordnung. Die Welt wird dadurch ein dunklerer Ort, sie wird zugleich aber auch schlicht chaotischer. Selbst für die USA bedeutet das: Sie werden künftig weniger Einfluss haben auf die Welt.
Sie werden auch in ihrem eigenen Land Kontrolle verlieren. Natürlich wird es Folgen haben, wenn die Behörden geschrumpft werden. Wenn erfahrene Mitarbeiter gehen, selbst wenn sie mit Loyalisten ersetzt werden. Erfahrung in einer Institution kann man nicht neu einstellen.
Offiziell verbreiten Leute wie Musk, dass das nicht stimme, dass da nur unnütze, faule, womöglich gar linke Leute dem Staat auf der Tasche liegen, die Jobs machen, die keiner braucht. Das Land werde davon profitieren, wenn erst einmal der Wildwuchs mit der Kettensäge weggebolzt ist. So ungefähr ist die Botschaft.
Aber natürlich stimmt das nicht.
Das war sogar bei Twitter so, nachdem Musk übernahm. Er schmiss Leute raus, manche gingen von selbst. Fehler häuften sich, Aussetzer. Und Twitter ist ungleich weniger komplex als die US-Gesellschaft und die Welt, auf die die USA als Supermacht einwirken.
Anders gesagt: Trump und Musk sorgen gerade dafür, dass ihnen der Zugriff auf die Gesellschaft ebenso entgleitet wie der begrenzte Zugriff auf die Welt.
Da könnte man sich ja fragen: Warum nehmen sie das in Kauf? So von Move-fast-and-break-things-Ideologie der Disruption kann selbst ein Mann des Silicon Valley nicht geprägt sein, das scheint mir nicht plausibel. Die verbreitete Sehnsucht nach dem großen Knall spielt ihnen in die Hände, aber ich glaube nicht, dass sie selbst einfach nur wollen, dass es knallt.
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Es stimmt, dass Trump ein Interesse daran haben müsste, nach klassischen Standards gut zu regieren. Er müsste Interesse an einer funktionierenden Verwaltung haben und an internationalem Einfluss.
Aber das ist nur relevant für jemanden, der davon ausgeht, dass er irgendetwas auf andere Art durchsetzen will als mit Überwältigung, Trickserei und notfalls Gewalt. Trump braucht das Recht und den Apparat nicht, um die Welt nach seinem Willen zu formen. Er arbeitet mit Drohungen, Schmähungen und Druck.
Natürlich ist das Recht, sind Regeln und Normen sehr oft Herrschaftsinstrument. Sie gelten selektiv. Sie schreiben Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten fest und dienen dazu, sie zu befestigen und legitimer erscheinen zu lassen. Häufig binden sie vor allem die Schwachen, während die Starken ihren Weg drumherum finden.
Aber zugleich binden Regeln, Normen, Institutionen und Ordnungen, wenn sie wirklich gelten, nicht nur auf dem Papier, immer auch die Herrschenden, die Reichen, Starken und Ruchlosen. In einem funktionierenden Staat mit unabhängigen Gerichten, Sicherheitsbehörden und starken Behörden voll mit selbstbewussten Beamten mit Sonderwissen und Berufsethos, da bekommen sie nicht immer ihren Willen.
Im Chaos gibt es nichts, was die Reichsten, Brutalsten und Skrupellosesten davon abhält, sich auszubreiten. Im Chaos nehmen sie sich, was immer sie wollen. Für Trump und Musk hält die alte geordnete Welt nichts bereit, was sie nicht auch im Chaos haben können, nur das Risiko, doch eingehegt zu werden.
Für jemanden, der immer so gelebt hat, als gelten für ihn keine Regeln, ist es leichter, es gibt gleich gar keine.
Zur Lage in Deutschland diesmal nur ein paar Zeilen. Ich war die vergangene Woche mit der aktuellen Spiegel-Titelgeschichte beschäftigt. Darin geht es um die Frage, ob das Land nach dem Tabubruch eigentlich noch regierbar ist.
Die Spitzenleute der relevanten Mitte-Parteien wollen das. Es ist möglich, dass je nach Lage zwei oder drei Parteien zusammenfinden zu einer Koalition. Es ist sogar wahrscheinlich, immer noch. Aber es ist eben nicht mehr sicher.
Warum, das kann man hier nachlesen (+).
Die ganze Woche hat man gespannt auf Umfragen gestartet, gewartet auf Infratest am Donnerstag und Forschungsgruppe Wahlen am Freitag. Einmal ging die Union einen Prozentpunkt hoch, einmal blieb sie unverändert.
Das kann sich alles noch verändern, aber die Umfragen zeigen doch in die gleiche Richtung. Der heißt, und das ist schon erstaunlich: Es bewegt sich einfach nichts. Selbst eine Woche, die Parteien nachhaltig entfremdet und das Verhältnis von Union und AfD neu definiert hat, löst im Grunde nichts aus.
Ich bin mir nicht sicher, wie man das zu deuten hat. Es könnte sein, dass sich alle ihrer Sache sehr sicher sind. Ich vermute aber eher, dass es ein Ausdruck von Resignation ist. Mit der Gesamtlage, dem Personal, den Machtoptionen.
Nach dem Newsletter vergangene Woche bekam ich eine Reihe von Zuschriften von Menschen, die ihre Amselwende schon erlebt haben. Wie schön! Und danke für die Nachrichten. Ich warte noch, aber jetzt weiß ich: Es kann wirklich nicht mehr lang dauern.
Herzlich
Jonas Schaible
Natürlich lief hier Simon & Garfunkel, während ich geschrieben habe. Ehrensache.
Was mir Hoffnung gibt, ist, dass Trump und Musk auf Widerstand stoßen. Zwei Gewerkschaften haben Klage eingereicht und ein Bundesrichter hat den Spuk an einer Stelle gestoppt. Ähnliches war schon in der ersten Amtszeit Trumps zu beobachten. Er rüttelt kräftig am Baum und nimmt dann was er kriegen kann. Und alles, was sich nicht widersetzt ist zunächst mal verloren. Jetzt sind NGO, Gewerkschaften, Zivilgesellschaft und auch die Justiz gefragt, den Durchmarsch zu stoppen.